Sprachlos komisch (4)
Bildergeschichten ohne Worte
- von Adamson bis Ziggy -
Auch die "Andersartigkeit" einer Comic-Figur kann neue Spielräume eröffnen. Comics sind nicht auf menschliche Figuren beschränkt. Deshalb haben Comic-Zeichner frühzeitig Tiere ins Bild gesetzt, nicht nur unter weitgehender Aufrechterhaltung ihrer tierischen Eigenart als Nebenfiguren oder Begleiter von Menschen (z.B. Tims treuer Terrier Struppi oder der winzige Idefix als Liebling des riesenhaften Obelix), sondern auch als Hauptfiguren mit menschenähnlichen Qualitäten und zugleich tierischen Besonderheiten. Man denke etwa an Felix The Cat, Tom & Jerry und Lupo Alberto.
Giovanettis "Max"
Mit "Max" ist dem Italiener Pericle Luigi Giovannetti eine tierische Comic-Figur gelungen, die sich mit Recht eine Spitzensposition erobert hat und größter Beliebtheit erfreut. "Das Murmeltier, über das die
Was Max mit einem Föhn, einem elektrischen Rasierapparat oder einem Springseil anstellt, kann ihm niemand nachmachen und paßt zu diesem putzigen Kerlchen und seinen temperamentvollen Auftritten. Natürlich kann er etwas zustande bringen, was Menschen versagt ist. Beispielsweise die Violine verspeisen oder mit den Vorderpfoten die den Hinterbeinen entgleitenden Schlittschuhe ergreifen und weitermachen. Auf der anderen Seite kann ihm ein typisch menschliches Mißgeschick zustoßen, das wir schon von Adamson kennen: die Spritztechnik eines fehlerhaften Füllfederhalters oder Nagelungsprobleme bei Holzkisten. Ein erbaulicher Unterschied zwischen Mensch und Tier wird bei Anwendung eines Haarwuchsmittels demonstriert. Alles, was Adamson erreicht, ist die Verlängerung seiner drei Haare. Max hingegen entwickelt sich zu einem langhaarigen Monster und wird nur schwer die Überfülle wieder los. Daß damit ein neues Kissen gewonnen wird, krönt den glücklichen Ausgang der Affäre.
Wenn man die Adamson-Zeichnungen mit den Max-Comics vergleicht, muß man zu dem Urteil kommen, daß sie gleichwertig sind, nämlich glänzend gezeichnet und durch und durch komisch. Dabei kommt den Max-Comics zugute, daß die Zeichnungen der Figur Freiraum lassen und sie nicht in Raster von "Kästchen" klemmen. Daß Max auch über die Grenzen der realen Welt vorstoßen kann, beweist seine Zeichnung eines simplen Strichs, der zu einer soliden Stange aufsteigt und Max erlaubt, seine Kletterkünste zu praktizieren.
Wolfgang Feltens Stachelblüten
Max hatte seinen ersten Auftritt etwa 1952. In der ersten Hälfte der 50er Jahre brachte Wolfgang Felten seine "Stachelblüten" zu Papier, schnurrige Erlebnisse eines Igels. Die lockere und sichere Strichführung, die heitere Gelöstheit der Figur, der freundliche Humor des Schöpfers, das alles bringt Felten in die Nähe Giovannettis. Übrigens haben beide auch dieselbe Idee, den stachligen Igel mit dem Rücken einmal an einen Baum zu drücken und den Zappelnden vorübergehend so hängen zu lassen ... Einen entscheidenden Unterschied gibt es allerdings: Felten begleitet seine Bilderfolgen mit köstlichen Versen, an denen Wilhelm Busch seine Freude gehabt hätte - wie an den "heiteren Federspielen" (so der Untertitel der "Stachelblüten"!) überhaupt. Obwohl wir uns vorwiegend mit den wortlosen Comics befassen wollen, sei doch eine Szene beschrieben, die schon angeklungen ist. Vater Igel geht mit dem kleinen Sohn spazieren. Der Sprößling gerät außer sich vor Wut und Enttäuschung, als sich eine Maus seinem Zugriff entzieht und flink in einem Loch verschwindet. Der Vater bemüht sich um Beruhigung, er versucht es mit Aufklärung, Mahnung, Verwarnung, mal liebevoll, mal grollend. Aber das Söhnlein steigert seinen Zorn bis zur Tobsucht. Da packt ihn der Alte und preßt ihn mit seinem stachligen Rücken an einen Baumstamm, wo der Kleine nun hilflos hängt:
Da wir nun schon einmal abgeschweift sind und einen Ausflug zu Comics mit gereimten Texten unternommen haben, darf Hans Traxler (geboren 1929) beanspruchen, in die Betrachtung einbezogen zu werden. Auch er entschied sich für einen "Serienhelden", aber er erfand ihn nicht, sondern entnahm ihn dem Leben und der Zeitgeschichte. Zunächst pickte er sich den deutschen Bundespräsidenten Heinrich Lübke heraus, einen würdigen alten Herrn mit weißem Haar, der allerdings nicht selten zerstreut und vergeßlich erschien. Außerdem wurden ihm ein humorloser Ernst und bedächtige Schlichtheit nachgesagt. Erste Cartoons erschienen unter dem Titel "Neues von Serenissimus" in der satirischen Zeitschrift PARDON. Dann erkor Traxler Paul VI, den früheren Erzbischof Montini von Mailand, zu seinem "Lieblingspapst". Die Bildergeschichten unter dem Titel "Die Reise nach Jerusalem" weisen Hans Traxler als tüchtigen Zeichner und hervorragenden Reimkünstler aus. Seine Verse haben eine prächtige lapidare Kürze und sind treffsicher. Auch hier hätte Altmeister Wilhelm Busch seinen Spaß gehabt.
Mit seinen 22 Bildergeschichten unter dem Titel "Ode an Hemingway", in denen auch Goethe und
"Kolumbus wird schon langsam grantig. Kein Ende nimmt der Nordatlantik..."
Es ist verführerisch für einen Künstler, der auch den Pegasus zu reiten weiß, eigene Figuren mit eigenen Geschichten zu entwickeln und seine Ideen zeichnerisch und literarisch darzustellen. Dabei muß man einräumen, daß manche Zeichner ebenso geschickt mit dem Zeichenstift umzugehen wissen wie mit der Schreibfeder. Manchen ist zuzugestehen, daß sie notwendigerweise "zweispurig fahren" und ihr "schöpferischer Geist sich im Bild und im Wort ausdrücken muß.
Geschichten vom Lektro
Zu diesen Künstlern zähle ich Reiner Zimnik (geboren 1930), dem zu der rührenden kleinen Gestalt seines "Lektro" mit freundlichem Gesicht, runder Brille und Dienstmütze eine Menge schöne Geschichten eingefallen sind. Mit Recht darf man sagen, daß es dem Grafiker und Poeten Zimnik gelungen ist, mit den Geschichten vom Lektro Kunstwerke erfreulichster Einheit zu schaffen. Und er hat etwas erreicht, was in der Kunst selten ist: Sein Lektro wird von vielen Menschen geliebt. Das ist mehr, als beliebt zu sein... Die gleichfalls von Reiner Zimnik erfundene Figur des Sebastian Gsangl ist ein anderes Kaliber, ein
Herr Hinrnbeiß
und einmal sagt er, in seinem Bett liegend,
"Ich bin ein nachdenklicher Mensch, aber manchmal fällt mir gar nix ein.“
Seine Rundlichkeit mag ihn an Aktionen hindern, die in Comics gezeigt werden könnten. So liegt, sitzt und steht er in seinen Cartoons und "macht Sprüche".
Literaturempfehlungen:
Luigi Giovanetti "Max" - 1973 Wilhelm Heyne Verlag München, Heyne TB 990 Hans Traxler "Die Reise nach Jerusalem" - 1978 Zweitausendeins Frankfurt Hans Traxler "Ode an Hemingway" - 1989 Diogenes Verlag Zürich, detebe 21713 Reiner Zimnik "Geschichten vom Lektro" - 1962 Cecilie Dressler Verlag Berlin Reiner Zimnik "Sebastian Gsangl" - 1979 Diogenes Verlag Zürich, detebe 20694 Franziska Bilek "Herr Hirnbeiß" - 1965² Süddeutscher Verlag München © Joachim Klinger - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009
Folgen Sie nächsten Sonntag weiter dem Vater der Geschichten von "Julle und Vatz" bei seinen Betrachtungen über Bildergeschichten, Comics und Cartoons.
Redaktion: Frank Becker |