Sprachlos komisch (4)

Bildergeschichten ohne Worte - von Adamson bis Ziggy

von Joachim Klinger

© Joachim Klinger
Sprachlos komisch (4)

Bildergeschichten ohne Worte
- von Adamson bis Ziggy -



Auch die "Andersartigkeit" einer Comic-Figur kann neue Spielräume eröff­nen. Comics sind nicht auf menschliche Figuren beschränkt.
 
Deshalb haben Comic-Zeichner frühzeitig Tiere ins Bild gesetzt, nicht nur unter weitgehender Aufrechterhaltung ihrer tierischen Eigenart als Ne­benfiguren oder Begleiter von Menschen (z.B. Tims treuer Terrier Struppi oder der winzige Idefix als Liebling des riesenhaften Obelix), sondern auch als Hauptfiguren mit menschenähnlichen Qualitäten und zugleich tierischen Besonderheiten. Man denke etwa an Felix The Cat, Tom & Jerry und Lupo Alberto.
 
Giovanettis "Max"

Mit "Max" ist dem Italiener Pericle Luigi Giovannetti eine tierische Comic-­Figur gelungen, die sich mit Recht eine Spitzensposition erobert hat und größter Beliebtheit erfreut. "Das Murmeltier, über das die

© Giovanetti/Heyne Verlag
Welt schmunzelt" - so die Buchwerbung - ist einem kleinen Panda-Bären nicht unähnlich, jedenfalls aber ein Tier mit Charakter und einer unglaublichen Skala von Eigenschaften, Emotionen und Einfällen. Die Mimik dieses dicken und zugleich possierlichen Kobolds ist überwältigend, seine Sprünge und Balance-Akte würden jedem Akrobaten zur Ehre gereichen, und die Resultate seiner kühnen Aktionen sind irrsinnig komisch. Max ist ein Clown im Bärenlook und wie in einer Manege der in helles Lampenlicht getauchte zentrale Punkt. Wie bei einer Aufführung im Zirkus gibt es keinen Hintergrund, keine Staffage, sondern nur wenige Re­quisiten und Instrumente, ab und zu auch einen Partner, einen ebenso kurz­sichtigen wie trunksüchtigen Igel.
 
Was Max mit einem Föhn, einem elektrischen Rasierapparat oder einem Springseil anstellt, kann ihm niemand nachmachen und paßt zu diesem put­zigen Kerlchen und seinen temperamentvollen Auftritten. Natürlich kann er etwas zustande bringen, was Menschen versagt ist. Bei­spielsweise die Violine verspeisen oder mit den Vorderpfoten die den Hinterbeinen entgleitenden Schlittschuhe ergreifen und weitermachen. Auf der anderen Seite kann ihm ein typisch menschliches Mißgeschick zusto­ßen, das wir schon von Adamson kennen: die Spritztechnik eines fehlerhaf­ten Füllfederhalters oder Nagelungsprobleme bei Holzkisten. Ein erbaulicher Unterschied zwischen Mensch und Tier wird bei Anwendung eines Haarwuchsmittels demonstriert. Alles, was Adamson erreicht, ist die Verlängerung seiner drei Haare. Max hingegen entwickelt sich zu einem langhaarigen Monster und wird nur schwer die Überfülle wieder los. Daß damit ein neues Kissen gewonnen wird, krönt den glücklichen Ausgang der Affäre.
Wenn man die Adamson-Zeichnungen mit den Max-Comics vergleicht, muß man zu dem Urteil kommen, daß sie gleichwertig sind, nämlich glänzend ge­zeichnet und durch und durch komisch. Dabei kommt den Max-Comics zugu­te, daß die Zeichnungen der Figur Freiraum lassen und sie nicht in Raster von "Kästchen" klemmen. Daß Max auch über die Grenzen der realen Welt vorstoßen kann, beweist seine Zeichnung eines simplen Strichs, der zu einer soliden Stange auf­steigt und Max erlaubt, seine Kletterkünste zu praktizieren.
 
Wolfgang Feltens Stachelblüten

Wolfgang Felten © J. Klinger


Max hatte seinen ersten Auftritt etwa 1952. In der ersten Hälfte der 50er Jahre brachte Wolfgang Felten seine "Stachelblüten" zu Papier, schnurrige Erlebnisse eines Igels. Die lockere und sichere Strichführung, die heitere Gelöstheit der Figur, der freundliche Humor des Schöpfers, ­das alles bringt Felten in die Nähe Giovannettis. Übrigens haben beide auch dieselbe Idee, den stachligen Igel mit dem Rücken einmal an einen Baum zu drücken und den Zappelnden vorübergehend so hängen zu lassen ... Einen entscheidenden Unterschied gibt es allerdings: Felten begleitet seine Bil­derfolgen mit köstlichen Versen, an denen Wilhelm Busch seine Freude ge­habt hätte - wie an den "heiteren Federspielen" (so der Untertitel der "Stachelblüten"!) überhaupt. Obwohl wir uns vorwiegend mit den wortlosen Comics befassen wollen, sei doch eine Szene beschrieben, die schon angeklungen ist. Vater Igel geht mit dem kleinen Sohn spazieren. Der Sprößling gerät außer sich vor Wut und Enttäuschung, als sich eine Maus seinem Zugriff entzieht und flink in einem Loch verschwindet. Der Vater bemüht sich um Beruhigung, er versucht es mit Aufklärung, Mahnung, Verwarnung, mal liebevoll, mal grollend. Aber das Söhnlein steigert seinen Zorn bis zur Tobsucht. Da packt ihn der Alte und preßt ihn mit seinem stachligen Rücken an einen Baumstamm, wo der Kleine nun hilflos hängt:
 "Mal sehen, denkt er, ob dieses nutzt / und eilt hinweg... der Kleine stutzt. / Schon zeigt dem Blick des Pädagogen / ein Musterkind sich, wohlerzogen. // Und das ist des Erfolges Krönung: / Der Kleine bettelt um Versöhnung! / Gepriesen sei und auch beneidet, / wer früh lernt, wie man sich bescheidet."
 Wolfgang Felten, geboren am 5. August 1914 in Grimma (Sachsen), war ein phantasievoller Zeichner, ein glänzender Buchillustrator (insbesondere Märchen und Kindergeschichten), aber auch ein hochbegabter Dichter mit sanftem Humor. Er ist bereits am 13. November 1963 in München verstor­ben und soll mehr als zwanzig "Sudelbücher" (gezeichnete Tagebücher) mit Tausenden von Zeichnungen hinterlassen haben. Was mag aus diesen Schätzen geworden sein?
 

© Zweitausendeins
Die Reise nach Jerusalem


Da wir nun schon einmal abgeschweift sind und einen Ausflug zu Comics mit gereimten Texten unternommen haben, darf Hans Traxler (geboren 1929) beanspruchen, in die Betrachtung einbezogen zu werden. Auch er entschied sich für einen "Serienhelden", aber er erfand ihn nicht, sondern entnahm ihn dem Leben und der Zeitgeschichte. Zunächst pickte er sich den deutschen Bundespräsidenten Heinrich Lübke heraus, einen würdi­gen alten Herrn mit weißem Haar, der allerdings nicht selten zerstreut und vergeßlich erschien. Außerdem wurden ihm ein humorloser Ernst und be­dächtige Schlichtheit nachgesagt. Erste Cartoons erschienen unter dem Titel "Neues von Serenissimus" in der satirischen Zeitschrift PARDON.
Dann erkor Traxler Paul VI, den früheren Erzbischof Montini von Mailand, zu seinem "Lieblingspapst". Die Bildergeschichten unter dem Titel "Die Rei­se nach Jerusalem" weisen Hans Traxler als tüchtigen Zeichner und hervor­ragenden Reimkünstler aus. Seine Verse haben eine prächtige lapidare Kürze und sind treffsicher. Auch hier hätte Altmeister Wilhelm Busch seinen Spaß gehabt.
Mit seinen 22 Bildergeschichten unter dem Titel "Ode an Hemingway", in denen auch Goethe und

© Diogenes Verlag
Schiller, Napoleon, Hitler, Dali und Henry Miller auftreten, zeigt sich Traxler auf der Höhe seines Könnens. Hinreißend sei­ne gereimten Begleittexte. Das gilt auch für seine 18 Bildergeschichten "Freud in der Krise". In der Geschichte "Entdeckung" heißt es:
"Kolumbus wird schon langsam grantig. Kein Ende nimmt der Nordatlantik..."
Es ist verführerisch für einen Künstler, der auch den Pegasus zu reiten weiß, eigene Figuren mit eigenen Geschichten zu entwickeln und seine Ideen zeichnerisch und literarisch darzustellen. Dabei muß man einräumen, daß manche Zeichner ebenso geschickt mit dem Zeichenstift umzugehen wissen wie mit der Schreibfeder. Manchen ist zuzugestehen, daß sie notwendi­gerweise "zweispurig fahren" und ihr "schöpferischer Geist sich im Bild und im Wort ausdrücken muß.­
 
Geschichten vom Lektro

© Cecilie Dressler Verlag

Zu diesen Künstlern zähle ich Reiner Zimnik (geboren 1930), dem zu der rührenden kleinen Gestalt seines "Lektro" mit freundlichem Gesicht, runder Brille und Dienstmütze eine Menge schöne Geschichten eingefallen sind. Mit Recht darf man sagen, daß es dem Grafiker und Poeten Zimnik gelungen ist, mit den Geschichten vom Lektro Kunstwerke erfreulichster Einheit zu schaffen. Und er hat etwas erreicht, was in der Kunst selten ist: Sein Lek­tro wird von vielen Menschen geliebt. Das ist mehr, als beliebt zu sein...
Die gleichfalls von Reiner Zimnik erfundene Figur des Sebastian Gsangl ist ein anderes Kaliber, ein

© Diogenes Verlag
urwüchsiger Bayer, dickköpfig und aufmüpfig, im­mer bereit zum Streit und hartnäckig seinen Standpunkt verfechtend. Er steht - wie man so sagt - mitten im Leben und behauptet seinen Platz. Er ist kleinwüchsig, die gedrungene Gestalt in einen abgeschabten Trachtenanzug gezwängt, bewegt er sich auf kräftigen Beinen. Den runden Glatzkopf be­deckt er mit dem Gamsbarthut; auf der Nase sitzt die Brille, unter ihr ein bierfeuchter Schnurrbart. Lektro beendet sein Tagewerk friedlich und mit "schönen Gedanken", Gsangl fügt sich nicht selten, "immer noch verärgert vor sich hin mosernd", ins Unvermeidbare.

Herr Hinrnbeiß


© Süddeutscher Verlag
Gsangl hat einen nahen Verwandten in "Herrn Hirnbeiß", den Franziska Bilek (1916 - 1991) gezeichnet hat. Auch er ist Münchner und "Grantler", viel­leicht eine Spur nachgiebiger, gemütlicher und gutmütiger als Gsangl. Sein Leben manifestiert sich in Bildern, Cartoons, unter denen stets ein Aus­spruch von ihm steht, Kommentare zu den herrschenden Verhältnissen und zur eigenen Situation. Ein kleiner Philosoph steckt auch im Herrn Hirnbeiß,
und einmal sagt er, in seinem Bett liegend,
"Ich bin ein nachdenklicher Mensch, aber manchmal fällt mir gar­ nix ein.“
Seine Rundlichkeit mag ihn an Aktionen hindern, die in Comics gezeigt wer­den könnten. So liegt, sitzt und steht er in seinen Cartoons und "macht Sprüche".



Literaturempfehlungen:
Luigi Giovanetti "Max" - 1973 Wilhelm Heyne Verlag München, Heyne TB 990
Hans Traxler "Die Reise nach Jerusalem" - 1978 Zweitausendeins Frankfurt
Hans Traxler "Ode an Hemingway" - 1989 Diogenes Verlag Zürich, detebe 21713
Reiner Zimnik "Geschichten vom Lektro" - 1962 Cecilie Dressler Verlag Berlin
Reiner Zimnik "Sebastian Gsangl" - 1979 Diogenes Verlag Zürich, detebe 20694
Franziska Bilek "Herr Hirnbeiß" - 1965² Süddeutscher Verlag München

© Joachim Klinger - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009
Folgen Sie nächsten Sonntag weiter dem Vater der Geschichten von "Julle und Vatz" bei seinen Betrachtungen über Bildergeschichten, Comics und Cartoons.

Redaktion: Frank Becker