James Ensor: Schrecken ohne Ende

Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum noch bis zum 8.2.09

von Johannes Vesper
James Ensor:
Schrecken ohne Ende

Ausstellung im Von der Heydt Museum Wuppertal
noch bis zum 08.02.2009

 

Ein Leben in Oostende

 James Ensor wird 1860 in Oostende geboren und stirbt dort 1949, also 89jährig, nach dreiwöchiger Krankheit. Seit seinem 13. Lebensjahr malt er, zeichnet er die Landschaft um Oostende, und bereits als Jugendlicher richtet er sich ein erstes Atelier in seinem Elternhaus ein. Mit 17 besucht James Ensor die Akademie der Schönen Künste in Brüssel, wo er Intellektuelle und Maler, darunter Fernand Khnopff, kennenlernt und viel nach antiken Vorbildern zeichnet. Nach dem Ende seines Studiums zieht es ihn wieder in das bürgerliche Seebad Oostende. Dabei pflegt er durchaus keine bürgerliche Lebensart. Als junger Mann sitzt er auf dem Schornstein eines Hauses in Oostende, spielt Flöte und läßt sich dabei fotografieren. Gesellschaftlich Einzelgänger und Außenseiter, ist der Umgang mit ihm auch für seine künstlerischen Freunde nicht einfach. In der Künstlergruppe „LeXX“, die auch Klinger und Seurat zu ihren Ausstellungen eingeladen hat, findet er nur zeitweilig eine künstlerische Heimat. Mit „Oostende-Centre d`Art“ hat Oostende sein Kunst-Festival jeweils in den Sommermonaten mit Ausstellungen, Konzerten, Theater und Lesungen. Richard Strauß, Ferruccio Busoni, Camille Saint-Saens treten dort auf. Hier verschafft sich Ensor eine gewisse Öffentlichkeit. 1895 findet seine erste Einzelausstellung in Brüssel und 1898 in Paris statt.
 
 1906 bekommt er von Emma Lambotte, einer jungen Schriftstellerin und Kunstmäzenin, deren Mann als berühmter Chirurg in Antwerpen erfolgreich arbeitet, ein Harmonium geschenkt. Es gibt etliche Fotografien von Ensor an dem von ihm geliebten Harmonium, das ihn zum Komponieren anregt. Seine Kompositionen werden aufgeführt und spielen für die Unterhaltungsmusik Belgiens zu seiner Zeit eine gewisse Rolle. Die Liebe zur Musik hinterläßt auch Spuren in seiner Malerei. „Musik geht über alles“ liest man auf einem Blatt.
  Mit Emma Lambotte pflegt er einen intensiven Briefwechsel von 1904 an bis zu seinem Tode. 1922 wird Ensor zum Mitglied der Königlichen Akademie der schönen Künste von Belgien ernannt. 1926 werden seine Bilder im belgischen Pavillon auf der 15. Internationalen Biennale in Venedig ausgestellt. Wenig später finden Einzelausstellungen in Berlin, Leipzig und Mannheim statt. 1929 wird er zum Baron ernannt und 1933 in die Ehrenlegion aufgenommen.    
 
Der Maler

  Sein Malstil ist nicht einheitlich. Im Frühwerk spielt der bürgerliche Salon eine große Rolle. Auf dem Ölbild „Nachmittag in Oostende“ (Öl auf Leinwand von 1881) trinken zwei Damen, am Tisch sitzend, Tee. Im Hintergrund eine Anrichte mit Uhr und Vasen, rechts hinten ein Fenster mit dicken Übergardinen. In dem Sessel links wird die Dame des Hauses wohl gelegentlich lesen. Dieses Thema wird variiert und mehrfach bearbeitet („Der bürgerliche Salon“ von 1881). Die Farben sind pastos und eher dunkel aufgetragen. Der Ausdruck entspricht dem Hell-Dunkel Rembrands und weniger dem Licht des zeitgleichen Impressionismus.
Ca. 1/3 der Bilder Ensors sind Stillleben mit Rochen, toter Ente und Gemüse. Hier wird mit  Maltechnik und Motiv experimentiert und es entstehen eigenartige unrealistische, fast schon surrealistische Blätter.
 
Psychose oder Karikatur – Masken, Teufeleien und Grimassen

 
Bei Stillleben bleibt es aber nicht. Ensor ist immer ein Freund des Karnevals. Bald maskiert er seine Gestalten. Lustig sind diese Bilder jedoch überhaupt nicht. „Die Intrige“ von 1890 zeigt elf bunte, maskierte Figuren, wie sie auch im Karneval erscheinen mögen. Aber schon bei den „verärgerten Masken“ tritt die Maskierte wie der Tod in das Zimmer. Vielleicht wird diese Thematik auch durch eine schwere Erkrankung 1887 bestimmt. Noch ungewöhnlicher oder erschreckender werden die Bilder, wenn Ensor sich selbst darstellt. Dann wird die Maske zum Totenkopf. Das Foto „Ensor in seinem Atelier“ (um 1895) zeigt den bärtigen Maler an seiner Staffelei sitzend im Atelier. Nur der Schädel auf der Spitze der Staffelei kündigt den Ernst an. Das Gemälde „Skelett an der Staffelei“ von 1896/97 zeigt den Maler dann mit Totenkopf in einer ganz ähnlichen Situation wie auf dem Foto. Auch sein „Porträt mit Totenkopf“ lehnt sich an ein Foto an, auf dem der Künstler am Fenster steht und in die Kamera blickt. Mit seinen entindividualisierten Masken- bzw. Totenkopf-Gesichtern als Ausdruck und Symbol von Ängsten  und Unbewußtem  paßt Ensor in die Zeit. 1886 erschien der Aufsatz „Le Symbolisme“ (Jean Moréas), das Manifest des Symbolismus, der als ablehnende Reaktion auf Realismus und Naturalismus verstanden werden kann. Ensors Welt der Phantasie und Groteske entspricht einem Gegenpol gegen die Bürgerlichkeit, Industrialisierung und Naturwissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Seine surrealen Masken, Totenköpfe, Teufeleien und Grimassen als Bild des Menschen weisen symbolhaft hinter die vertraute und bekannte Welt. Verständlich, daß Ensor auch seinen „göttlichen“ Wagner verehrt, in dessen symbolhafter Darstellung von Instinkt und Leidenschaft (Leitmotive) der musikalische Symbolismus jener Zeit kulminiert. Die zeitgleiche Verbreitung der Psychoanalyse ist sicher kein Zufall. Über eine eventuelle autobiographische Bedeutung von Ensors „Schmerzensmann“ oder der Radierung „Dämonen, die mich quälen“  kann spekuliert werden. Ensors Identifikationen mit Christus nehmen wahnhafte Züge an (siehe z.B. die Blätter aus Düsseldorf „Die Sünden vom Tod beherrscht“ oder „Christus von Dämonen heimgesucht“). Jedenfalls erinnert die emotionale Intensität seiner Werke  an Zeichnungen von Psychotikern. Der Psychiater Leo Navratil (Schizophrenie und Kunst, dtv) sieht in der Dynamik der Gestaltung zwischen Gesunden und Schizophrenen allerdings keinen prinzipiellen Unterschied. Die Wand, vor der „Der Pisser“ (Radierung von 1887) sein Geschäft verrichtet, zeigt die Inschrift: Ensor ist verrückt („ Ensor est un fou“). Psychose oder (nur) Karikatur? Im 1. Weltkrieg wird Ensor wegen seiner Karikatur Kaiser Wilhelms des II. als Aasgeier von den Deutschen inhaftiert.   
Im Spätwerk verlieren die Masken das Bedrohliche ihres früheren Ausdrucks und werden in lichtvollen leichten Blättern zitiert. „Entblättertes Licht“ nennt er ein Bild von 1936. 
 
„Der Außenseiter als Vorläufer“

  Ensors Darstellungen von Menschenmassen weisen weit in das 20 Jahrhundert. Der „Einzug Christi in Brüssel“ gilt als ein Hauptwerk und zeigt den Aufmarsch maskierter Massen. Auf den Fahnen steht „Die Fleischer Jerusalems“ oder die „Phalanx des ohrenbetäubenden Wagner“ bzw. „Vive La Sociale“.  Bei der Rache des Hopp-Frosches (Erzählung von Edgar Allan Poe) schaut die Masse der Menschen zu, wie die Regierenden an der Kette des Kronleuchters hängen und verbrennen. Auch der Tod als fliegender Sensenmann (Kaltnadelradierung) in den engen Straßen der Stadt weist auf die Katastrophen der zukünftigen Weltkriege und der Diktaturen des 20. Jahrhunderts hin.
 
 Seine Zeitgenossen sind mit solchen Werken überfordert. Kritiker halten ihn für einen „faden Witzbold, dessen groteske und geschmacklose Produkte widerwärtig sind“.
Am produktivsten arbeitet Ensor in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Sein Einfluß auf Expressionismus und Surrealismus ist eminent. Die Werke in der Ausstellung von Nolde, Dix, Heckel, Käthe Kollwitz, Paul Klee, Max Ernst und anderen zeugen davon. Und noch Joseph Beuys nimmt nach einem Besuch des Grabes in Oostende 1968 für sich in Anspruch, „daß er eine sehr große Verwandtschaft mit Ensor fühle“
 
 In der großen Wuppertaler Ausstellung werden bis 08.02.2009 das Werk Ensors, seine  Wirkung auf die Zeitgenossen wie z.B. Fernand Khnopff oder Leon Spilliaert und die spätere Wirkung auf die Malerei des 20. Jahrhunderts bis hin zu Baselitz und Polke systematisch und umfassend dargestellt. Die Bilder stammen aus zahlreichen  Museen Belgiens (vor allem Museum voor Schone Kunsten, Oostende, Koninklliyk Museum voor schone Kunsten, Antwerpen), der Niederlande, der Schweiz, Frankreichs und Deutschlands. Auch aus dem eigenen Bestand des Museums sieht man zu diesem Thema  herrliche Bilder von Ensor, Munch, Dix, Francis Bacon u.a.. 
 


Die ambitionierte Ausstellung wird  in dem umfangreichen  Katalog „James Ensor – Schrecken ohne Ende“ ausführlich dargestellt und bearbeitet. (Herausgegeben von Dr. Gerhard Finckh, 327 Seiten. Zahlreiche Abbildungen und Fotografien. Beiträge von J. Heusinger von Waldegg, H. Todts und N. Hostyn. ISBN 978-3-89202-072-1), € 25,-

Weitere Informationen unter: www.von-der-heydt-museum.de

Redaktion: Frank Becker