Weltkrisen einst und jetzt
Skepsis ist angezeigt
Betrachtet man den gegenwärtigen Status der Welt, deren weitere Entwicklung natürlich nicht abzusehen ist, so drängt sich der Eindruck einer gewaltigen Kräfteverschiebung auf. Vor allem sind es die USA, die von einem aggressiven Rußland einerseits, einem entschlossenen China von ihrem Thron der Welt-Vorherrschaft gestoßen werden sollen.
Nun würde es jedem historischen Verständnis widersprechen, daß es im Lauf der Welt keine Veränderungen geben sollte. So stellt sich die Frage, ob man aus der Geschichte etwas über Entwicklungen lernen kann. Zwei Wissenschaftler aus verschiedenen Gebieten unternehmen Rückblicke auf das Römische Reich und Aussichten auf die Zukunft von heute, wobei ihnen klar ist, daß Geschichte immer auch zuvörderst Wirtschaftsgeschichte ist. (Daß ein Kapitel den Titel „Die Macht des Geldes“ trägt, verwundert in diesem Zusammenhang nicht).
Der Historiker Peter Heather unterrichtete in Oxford und ist derzeit am King’s College in London tätig, John Rapley ist politischer Ökonom an der University of Cambridge Wenn die beiden Autoren also den Rückwärtsgang einschalten, um auf Rom zurück zu blenden, beginnen sie im Jahr 399, um zu zeigen, daß Politik damals ähnlich funktionierte wie heute – mit großen Reden wurde dem Volk vorgesagt, was es denken und glauben sollte. Nämlich, daß die Zeiten wunderbar seinen und die Herrscher die denkbar besten. Selbstlob ist keine Erfindung von heute.
Und nur zehn Jahre später kamen die „Barbaren“, sprich: die Westgoten unter Alarich, drangen in das Zentrum des Reichs vor und plünderten Rom (wobei, wie das Buch ausführt, sie ihrerseits „Flüchtlinge“ vor den heran nahenden Hunnen waren), und innerhalb weniger Generationen gab es kein Römisches Reich mehr. Als Parallele hat man die Rede von Bill Clinton herangezogen, der 1999 eine glorreiche Gegenwart pries und eine immer glorreichere Zukunft beschwor – ohne zu ahnen, wie nahe das Ende war. (Wobei die Autoren 9/11 gar keinen Platz einräumen, immerhin eine Bedrohung und Erschütterung besonderen Ausmaßes. Die Pandemie findet später wenigstens ihre Erwähnung.)
Um Parallelen zwischen einst und heute geht es immer wieder in dem Buch, wobei klar ist, daß diese so gut wie nie hundertprozentig aufgehen können – allein, wenn man die Größe des Römischen Reichs bedenkt (in seiner hohen Zeit zwischen Schottland und dem Irak – auf der festen Basis gemeinsamer Kultur-, Finanz- und Rechtsstrukturen) und die Tatsache, daß man sich damals nicht schneller als zu Pferde fortbewegen konnte. Schon das macht Vergleiche mit unserer Welt der sekundenschnellen Kommunikation obsolet.
Vieles ist bei den Parallelen, wenn sie grundsätzlich auch richtig scheinen mögen, fraglich, auch weil vieles Interpretationssache ist. Kapitalismus (der nie bereit ist, etwas an die unteren Schichten abzugeben) agiert ähnlich, ob im Alten Rom oder unserer Welt, man suchte billigere Produktionsstätten, um die Gewinne zu maximieren. Wenn die Römer allerdings vieles in ihre Provinzen auslagerten, wurde zwar auch die dort einheimische Bevölkerung ausgebeutet, aber es geschah gewissermaßen für Rom, in dem Sinn, daß die Provinzen des Reichs aufblühten (man denke an Pracht-Städte wie Leptis Magna in Libyen). Heute hingegen produziert der Westen ohne irgendwelche übergeordnete Interessen im Osten und in Asien (unter dem künstlichen Vorwand, der einheimischen Bevölkerung Arbeit zu verschaffen, während diese für einen Hungerlohn schuften müssen und nur Zwischenhändler den Rahm abschöpfen). Gewonnen ist nichts, wenn im Westen Hekatomben billiger Kleidung so schnell weggeworfen werden, wie sie einst gekauft wurden… O tempora, o mores.
Andere Parallelen, die nicht völlig greifen: Die Autoren möchten Edward Gibbon nicht völlig zustimmen, der in seinem hoch gelobten Standardwerk vom „Verfall und Untergang des Römischen Imperiums“ den Einfall fremder Völker als Hauptursache benannte. Was Amerika betrifft, mag das stimmen, wo man sich „nur“ mit dem Einsickern von Flüchtlingen an der mexikanischen Grenze auseinander setzen muß. (Außerdem wurde, historisch betrachtet, Amerika durch seine Einwanderer groß – die allerdings aus keinem anderen Grund kamen, als um Amerikaner und erfolgreich zu werden). Für Europa sehen viele Analysten die Massenmigration und ihre wirtschaftlichen Folgen (und Kosten) sehr wohl an der Spitze der Untergangs-Problematik einer alt gewordenen Welt. (Überhaupt werden viele Narrative von Gibbon in Frage gestellt, wobei man sich den Autoren nicht immer anschließen möchte.)
War es einst das Christentum, das so entscheidend an den Säulen des Römischen Imperiums sägte, so setzt heute der Islamismus den europäischen Werten einen starken und offenbar nicht zu erschütternden Gegenpol entgegen. Dazu kommen heutige positiv besetzte Ideologien – pro Migration als „Bereicherung“, pro Trans-Gender-Diversität, pro sanktionierten Klimakrise-Gewaltaktionen, pro Umschreiben der Geschichte zu Ungunsten des weißen Mannes, um seine Vormachtstellung zu unterminieren: All das, unterstützt von Sozialen Netzwerken und Medien, zieht der traditionellen westlichen Welt den Boden unter den Füßen weg und verlagert das bisherige Kräfteverhältnis geradezu in sein Gegenteil (über eine schweigende Majorität hinweg).
Dazu kommt, daß ein Buch, das 2023 in London erschienen ist und heute übersetzt am deutschen Markt erscheint, keine Möglichkeit hatte, das zu tun, was wir heute durch das Internet gewöhnt sind – die prompte Aktualisierung des Geschehens. Der Ukraine-Krieg kommt in dem Buch kaum vor, Israel-Gaza (und was immer daraus werden mag) natürlich auch nicht, und da Geschichte, wie man immer wieder betonen muß, Wirtschaftsgeschichte ist, wird das gewaltige Hochfahren der Kriegsindustrie auch Veränderungen bringen. Und ob man Persien als Roms Gegner wirklich damit vergleichen kann, was der westlichen Welt von China droht? Wobei fraglos feststeht, daß es sich bei den nicht zu bremsenden Mächten nicht um Demokratien handelt, die gegen Totalitarismus immer verlieren müssen, sondern schon von ihrer Struktur her diktatorischen Charakter tragen…
Wie pessimistisch sieht man nach der Lektüre dieses Buches, das sich gegen Ende wie ein Wirtschaftsbericht liest, in die Zukunft? Schließlich heißt es: „Eine Zukunft – geprägt von politischer und gesellschaftlicher Spaltung, wachsender Instabilität, Demokratieverlust, Missachtung von Gesetzen und Menschenrechten, erodierenden öffentliche Dienstleistungen und sinkenden Lebensstandards – könnte dem Westen bevorstehen.“
Der Nachsatz lautet: „ Aber dazu muß es nicht kommen.“
Der Ratschlag der Autoren?
„Wenn die Bürger der westlichen Länder imstande sind, die vor ihnen liegenden Schlüsselaufgaben zu begreifen, und unvermeidlich spaltende Meinungsverschiedenheiten demokratisch zu lösen, und das in einer Weise, die der breiten Bevölkerung ein Gefühl der Einbeziehung und Fairness vermittelt, und insbesondere, wenn sie das in einer Weise tun können, die den Bürgern der aufstrebenden Peripheriestaaten das Gefühl vermittelt, daß auch ihnen ein Anteil an einer gleichberechtigteren Zukunft innerhalb eines umfassenderen Systems angeboten wird, das auf denselben gemeinsamen Werten beruht, sind die Gewinne potentiell kolossal.“ Amen. Peter Heather & John Rapley – „Stürzende Imperien“
Rom, Amerika und die Zukunft des Westens © 2024 Verlag Klett-Cotta, 288 Seiten, gebunden, mit Karten - ISBN: 978-3-608-98236-7 25,- €
Weitere Informationen: www.klett-cotta.de
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