Saisoneröffnung des Sinfonieorchesters Wuppertal
am 31.8.24 auf dem Laurentiusplatz
Von Johannes Vesper
Ein lauer Sommerabend und Tausende kamen trotz des furchtbaren Attentats auf dem Stadtfest in Solingen wenige Tage zuvor. Man hätte auch eine Absage rechtfertigen können. Das Open Air Konzert fand aber statt, und die Stimmung auf dem großen Platz vor der ockerfarbenen, prächtigen Laurentiusbasilika war großartig.
Zu Beginn gab es die Ouvertüre der Operette „Candide“ von Leonard Bernstein (1918-1990), leichte amerikanische Muse für großes Orchester mit Anklängen an Jazz und Filmmusik, ein Ohrenöffner für das sich anfügende, selten aufgeführte Konzert für Saxophon und Orchester op. 50 von Nikolai Kapustin, der 1937 in Horlivka (Ukraine) geboren wurde und 2020 in Moskau verstorben ist. Ursprünglich Jazzpianist, bewegte er sich als Komponist zwischen Barock und Jazz, hat u.a. 20 Klaviersonaten und sechs Klavierkonzerte geschrieben. Mit seinen 24 Préludes und Fugues op. 82 für Klavier wanderte er wie J.S. Bach. Schostakowitsch u.a durch alle Tonarten. Sein Saxophonkonzert erwies sich als munteres Stück, in welchem Severin Neubauer alle Facetten des Instruments bravourös wie souverän ausgespielte. Er ist als Solist mit dem Sinfonieorchester bisher selten aufgetreten, hat aber Erfahrung im Orchester der Wiener Staatsoper gesammelt. Nach starkem Applaus spielte er als Zugabe „Everything happens to me“ von Charlie Parker (1920-1955), die dessen elendes, kurzes Leben nicht erahnen ließ. Der Begründer des Bebops starb mit 35 Jahren an Leberzirrhose und Drogensucht.
Patrick Hahn in seiner Doppelrolle als Conférencier und Orchesterchef am heutigen Abend, kündigte dann überraschend und abweichend vom ursprünglichen Konzertprogramm an, daß das Orchester pausieren würde für das Spectrum Saxophonquartett (Stephanie Schoiswohl, Florian Bauer, Daniel Dundus und Severin Neubauer). Die vier haben sich beim Studium in Graz schon 2020 zusammengefunden und spielten als weitere Zugabe von Guillermo Lago (geb. 1960) „Addis-Abeba“, „Sarajewo“ und „Córdoba“, höchst amüsante musikalische Sketche („Ciudades“). Für rund 11 Minuten wurde sehr lebendig auf Sopran-, Tenor-, Alt- und Baßsaxophon nach Kräften getutet, gefurzt, gepupst und seelenvoll geblasen. Für das Vergnügen der Sonderklasse bedankte sich das begeisterte Publikum mit ebensolchem Applaus. Patrick Hahn wies anschließend darauf hin, daß im Sinfonieorchester Musiker aus 19 Nationen vertreten seien, welch ein Glück es biete, einen solchen Abend in Frieden, Gemeinschaft und musikalischer Freundschaft zu verbringen und kündigte an, im Gedenken an die Opfer von Solingen „Nimrod“ aus den Enigma Variationen von Edward Elgar (1857-1934) zu spielen. Beginnend mit kaum hörbarem Pianissimo, klang ernst, konzentriert und tröstlich das Orchester in den Abend.
Die „Festliche Ouvertüre“ von Dmitri Schostakowitsch (1906-1975), zum 37. Jahrestag der Oktoberrevolution 1954 in drei Tagen komponiert, wurde mit Blechfanfaren, eher stereotypen Synkopen, Paukenwirbel und Streicherkantilenen ihrem Titel überaus gerecht, läßt von Problemen des Komponisten mit Stalin nichts erkennen.
In Vorbereitung auf Salzburg oder als Nachklang auf die Ferien waren sodann „Reisefieber und Walzerszene“ (aus „Intermezzo“) von Richard Strauss (1864-1949) zu hören, höchst komplexe, heikle Musik, die im großen Konzertsaal ihre große Wirkung nicht verfehlt hätte. Nicht nur das Ersterben der Bratschen am Ende kam in erschwerter Freiluft-Akustik nicht recht an. Da hatte es „Pomp an Circumstances“ von Edward Elgar als bekannter Konzertschlager leichter. Zuletzt endlich gab es Duke Ellingtons „Harlem“ für Big Band und Orchester, ein Spaziergang durch Harlem an einem Sonntagmorgen. Hier wurde daraus sozusagen ein Abendspaziergang durch das Luisenviertel orchestriert in der vollen Version für großes Sinfonieorchester. Jammernde, schluchzende Posaunenglissandi, zirpende Klarinetten in höchsten Höhen, akademisch exakte Holzbläser mittendrin, beseelte oder auch rhythmisierte Streicher, Pizzi in den Bässen, alles in mitreißendem Rhythmus veritablen Jazzsounds und zunehmend kreisendem farbigem Licht über dem Orchester: Da blieben keine musikalischen open air Wünsche offen. Trugschlüsse führten zu Zwischenapplaus, obwohl im PP das Stück weiter ging. Dann nahmen zahlreiche Schlagzeuger in verschieden Ecken der Bühne die musikalische Entwicklung mit einem spektakulären Solo in ihre kräftigen Hände. Pure Rhythmen, später verstärkt durch Kuhglocken, dann durch höhere Ziegenglocken, bedingten starken Szenenapplaus am Soloende. Für den frenetischen Beifall am Schluß mit Pfiffen und Bravi bedankten sich Orchester und Dirigent mit dem Säbeltanz von Aram Chatschaturjan (1903-1978) und der flotten Ouvertüre der Oper „Wilhelm Tell“ von Gioachino Rossini (1792-1868) wurde das enthusiasmierte Publikum in die nächtlichen Tiefen des Luisenviertels entlassen. Der Abend machte wieder einmal Lust auf eine genüßliche wie anspruchsvolle Konzertsaison 2024/25, die die 162. seit Gründung des Orchester 1862.
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