Auf nach Nimmerland!

Matt Brown, Rhys B. Davies – „Atlas der imaginären Orte“

von Robert Sernatini

Auf nach Nimmerland!
 
Eine liebevoll recherchierte Reise
zu erfundenen Orte der Weltliteratur
 
Leser und Leserinnen von Abenteuer-Romanen, Kunstmärchen, Comics, Fantasy-Stories, sagenhaften Geschichten und geheimnisvollen Überlieferungen begegnen in und mit ihrer Lektüre immer wieder Ländern, Gegenden, Inseln, Städten, Orten und Bauten, die der Phantasie ihrer Schöpfer entsprungen sind oder sich auf vergessenes Wissen berufen. Seit Literatur geschrieben wird, also seit Menschengedenken schaffen Schriftsteller fiktive Fakten zu geheimnisvollen Reichen. Der wunderbar ausschweifende und detailreiche Erfindungsreichtum von Autoren kennt wahrlich keine Grenzen – oder er erschafft solche. Wir Leser erhalten dadurch Zauberreiche und Traumwelten, Schatzinseln, unbekannte Weiten und Völker, magische Punkte auf imaginären Landkarten und nur dort mögliche Abenteuer als Geschenk. Unsere Gedankenwelt bekommt Flügel, mit denen wir uns beim vertieften Lesen an all jene Orte begeben.
 
Wo aber sind diese Orte und Länder, wo leben Peter Pan und die Hobbits, wo finden wir das Reich der Roten Königin, durch das Alice dem weißen Kaninchen folgt? Wo finden wir Metropolis, Euphoria, Entenhausen und Gotham City? Gab es Atlantis und Vineta? Aber wo? Wo wohnte der Zauberer von Oz und wo ist Causton/Midsomer in dem Inspector Barnaby seine skurrilen Fälle aufklärt? Diese und ähnliche Fragen kann man endlos aneinanderreihen und kein Ende finden. Um den Geheimnissen fiktiver Orte und Gegenden auf die Spur zu kommen, haben sich schon etliche durchaus ernstzunehmende Autoren darangesetzt aus den in der Literatur zugänglichen Informationen herauszufiltern, nun ja, eher zu vermuten oder zu erraten, wo denn nun Gondor, Auenland, Camelot, Schilda, Podalida, Icaria, Emerald Island, Mahagonny, Lilliput, Walhall, Eldorado, Nimmerland und Duckburgh seien. Und wichtig: auch nach dem Springfield der Simpsons wird gesucht.
 
Alberto Manguel und Gianni Guadalupi taten es 1981 (Christian Verlag) mit „Von Atlantis bis Utopia“. Werner Nell stellte 2012 seinen „Atlas der fiktiven Orte“ (Meyers) vor. 2016 folgte Edward Brooke-Hitching mit „Atlas der erfundenen Orte“ (wbg Theiss) und 2019 legte Huw Lewis-Jones sein „Verrückt nach Karten“ (wbg Theiss) vor. Ebenfalls bei wbg Theiss erschienen 2016 „Metropolis“ von Jeremy Black und 2018 Malachy Tallacks „Von Inseln, die keiner je fand“. 2021 zog Dumont mit Gavin Francis´ „Inseln“ nach. Da wurden Weltumsegler, Forschungsreisende und Abenteurer zu Rate gezogen, Handschriften und Originalwerke ausgewertet, natürlich überlieferte Karten und Atlanten genauestens durchforstet und abenteuerliche Vermutungen angestellt. Sie ahnen es schon: alles blieb und bleibt Interpretation, Imagination, Irrtum. Aber die Phantasie durfte blühen! Denn genau das haben die Erzähler von Geschichtenso beabsichtigt - von Jonathan Swift und Lewis Carroll über die Brüder Grimm und Carl Barks bis zu Marvel und Manga .
 
Nun ist ein neuer Band zum unerschöpflichen Thema erschienen. Noch bunter, noch ambitionierter, noch tiefer schürfend: „Atlas der imaginären Orte – von Atlantis bis Gotham City“ von Matt Brown & Rhys B. Davies. Von Grimms Märchenwäldern und den zwölf Distrikten Panems über Familie Feuersteins Felsental, von Amity, wo der weiße Hai gemeuchelt hat und die von Dinosauriern bevölkerte vergessene Welt aus Jurassic Park bis hin zum Mumital, das Opar Tarzans, Blefuscu aus Gullivers Reisen und den neonbeleuchteten Straßen japanischer Städte, in denen sich Anime-Dramen abspielen – hier ist wirklich für alle etwas dabei, die zu Hause auf Entdeckungsreise gehen möchten. Denn die Autoren haben nicht nur die Literatur, sondern auch Comics, Kinofilme und TV-Serien, Liedertexte und beliebte Brett- und Videospiele akribisch untersucht.
 
Auf der Basis des realen Weltatlas fußend haben sie die wahre Geographie in 18 literarische, fiktionalisierte Regionen eingeteilt, mit neuen Namen versehenden und auf prächtigen farbigen Karten die vermuteten Orte eingezeichnet sowie fiktive Inseln, Gebirge, Flüsse, Seen, versunkene Schiffe und Kontinente etc. hinzugefügt. Jeder einzelne der über 5000 kartierten Schauplätze ist in einem umfangreichen Orts- und einem Quellenregister verzeichnet. Wir erfahren z.B., daß Gotham City und Metropolis nicht weit voneinander an der Ostküste von New Temperance lokalisiert werden, daß Shangri-La im Westen Chinalands zwischen Meru und dem Traumreich liegt und daß Tarzan sich an der Grenze zwischen Zamunda im Süden und Pal-Ul-Don im Norden an Lianen durch den Dschungelschwang. Vineta findet man nicht, hingegen Rapunzels Reich an der Ostsee. Wir können Tom Sawyer und Huckleberry Finn auf ihrer Flucht verfolgen, Tim und Struppis abenteuerliche Reisen begleiten und Crocodile Dundees Walkabout Creek im australischen Radback finden. Auch Arthur Conan Doyles Baskerville Hall aus dem Sherlock Holmes-Roman The Hound of the Baskervilles wird in Lower Wessex, unweit von Sittaford manifestiert.
Karl May, der größte reisende Lügenbaron der deutschen Literatur wird schmählich ignoriert, wenn auch Ardistan einmal marginal in Osteuropa genannt wird. Sein Werk findet Erwähnung in „Atlas der fiktiven Orte“ und in „Von Atlantis bis Utopia“. Auch Gottfried August Bürgers „Münchhausen“ (berücksichtigt in „Von Atlantis bis Utopia“) kommt leider nicht vor. Man kann schließlich nicht alles haben.

Herausgekommen ist ein prachtvoller, zugleich liebevoll gemachter Fundus zum Hineinschmökern in die herrlich erfundenen Orte der Weltliteratur der vergangenen Jahrhunderte und der Gegenwart. Versäumen Sie auf keinen Fall das aufschlußreiche Vorwort und die informativen einführenden Kapiteltexte.
Von den Musenblättern mit einem Musenkuß sehr empfohlen!
 
Matt Brown, Rhys B. Davies – „Atlas der imaginären Orte“
Von Atlantis bis Gotham City | Umfangreiches Nachschlagewerk zu Schauplätzen aus Literatur, Film und Popkultur mit Texten und Kartografien – Aus dem Englischen von Christiane Manz
© 2024 Groh Verlag, 168 Seiten, gebunden, Halbleinen, 25 x 31,5 cm  -   ISBN: 978-3-8485-0233-2
34,- €
 
Weitere Informationen: www.geschenkverlage.de/