Sprachlos komisch (5)
Bildergeschichten ohne Worte
- von Adamson bis Ziggy -
Aber kehren wir nach diesem Schlenker (siehe Teil 4) um und verlassen die 60/70er Jahre des 20. Jahrhunderts! Es gilt noch einige Nachfahren von Adamson zu entdecken.
Der kleine König Da gibt es zum Beispiel "the little king" (Der kleine König), den Otto Soglow ab 1932 im "New Yorker Magazine" vorstellte und der ab 1934 in den Sonntagsbeilagen aller Hearst- Tageszeitungen auftrat. Das Äußere: ein kleiner Monarch mit spitzer Krone und schwarzem Säbelbart, der seinen kugelförmigen Körper unter einem Purpurmantel mit Hermelinbesatz verbirgt. Die Zeichnungen Soglows (1900-1975) sind von äußerster Schlichtheit, entbehren aber nicht einer dekorativen Note. Das mag ein wenig mit dem höfischen Umfeld, dem Zeremoniell und dem Lakaienstab zusammenhängen. Sie bekommen dadurch aber hin und wieder eine Glätte, die ihre Lebendigkeit beeinträchtigt. Die Stilisierung schadet der Komik. Der Zeichner kann für seine
Für den kleinen König gibt es Vorschriften der Etikette, Repräsentationsverpflichtungen und Regierungsgeschäfte. Gleichwohl: der kleine König ist ein im Grunde harmloser Biedermann mit schlichten Wünschen und Gefühlen, kein Machthaber und Despot. Gewalt ist ihm zuwider, an Ausbeutung denkt er nicht, und diplomatisches Ränkespiel kommt nicht in Betracht.
Verunglimpfungen begegnet er nachsichtig, gegen die Bösartigkeit kennt er nur die Waffe der Liebenswürdigkeit, und wenn er mal zu einer List greift, dann haben wir dafür umso mehr Verständnis, als sie keinen Schaden stiftet. Dieser kleine König sieht sich nicht als Respektperson, er haßt Prunk und Pomp und entzieht sich manchmal seinen Schranzen und ihrem Protokoll auf unkonventionelle Weise. Im Grunde ist auch er ein Kleinbürger und leidet unter notorischem Geldmangel. Aber er weiß sich zu helfen: natürlich bemüht er sich selbst um die Reparatur der defekten Wasserleitung, vermietet das Gelände vor dem Schloß an zeltende Indianer, führt Schloßbesuchern Kunststückchen vor und sammelt Geld mit seiner Krone ein oder sitzt nach dem Bankett an der Kasse, um die Finanzen aufzufrischen. Schließlich möchte auch der kleine König leben, und niemand wird ihm einen bescheidenen Wohlstand mißgönnen.
Horst von Möllendorff und "Fäustchen"
Ein deutscher Protagonist in der Nachfolge Adamsons war "Fäustchen" - schon der Name eine herrliche Erfindung - und wahrlich kein "Ableger" der großen Literaturfigur des Faust. Vielleicht sogar sein Gegenteil: harmloses Mittelmaß, friedliche Selbstgenügsamkeit.
Zu Adamsons meist griesgrämiger Haltung steht die lebensbejahende Position Fäustchens im Kontrast. Äußerlich ist das daran erkennbar, daß Fäustchen nie ergrimmt und bei Fehlschlägen grollt. Mach das Beste draus! - das könnte seine Devise sein. Natürlich wird er mit seinem Liegestuhl nicht fertig - wer wird das schon?! Seine Lösung: der Stoffbezug gibt das Material für einen bequemen Badeanzug her. Die Jalousie hängt schief. Was tun? Adamson würde nach schweißtreibender Arbeit wahrscheinlich an einer maßlos verlängerten Jalousie über dem Abgrund der Straße hängen. Auch Fäustchen gibt sich Mühe. Aber er läßt sich nicht auf einen Konflikt mit diesem komplizierten Monstrum ein. Er geht der Reparatur aus dem Weg. Er verändert das Fenster im ganzen und mauert es so, daß die Jalousie nun in einem schrägen Fenster gerade sitzt. Umständlich gewiß, aber voller Respekt vor der eigenwilligen Jalousie. Während Adamson an Frauen nicht interessiert ist - einmal verwirft er den Gedanken an eine eheliche Bindung wegen der mit starker Unruhe einhergehenden Konsequenzen -, hat Fäustchen eine deutliche Schwäche für hübsche Frauen. Er tritt als Liebhaber und Freier auf und entwickelt Charme und Grandezza, wenn er dem schönen Geschlecht begegnet. Sie verliert den Stockschirm, er legt seinen rasch dazu und deutet werbend auf das so gebildete Herz - eine reizende Liebeserklärung. Ein Windstoß nimmt "ihr" den Hut. Interessierte Männer jagen ihm nach, um der Dame gefällig zu sein. Fäustchen öffnet einladend die Tür zu einem Die Fäustchen-Bildergeschichten, in ihrer sparsamen Strichführung meisterhaft gestaltet, sind klassische Beispiele der Comic-Strips ohne Worte. Korrekterweise muß zugegeben werden, daß Möllendorff in wenigen Fällen die goldene Regel der Sprachlosigkeit verletzt. Aber man sieht es ihm nach, zumal die rein zeichnerische Lösung unmöglich ist und der Verzicht auf die Umsetzung einer hübschen Idee äußerst bedauerlich wäre.
In Kriegszeiten kann man in Restaurants und Cafes Eßbares nur mit seiner Lebensmittelkarte erwerben. Der Ober weist Fäustchen auf einen Irrtum hin: statt der Lebensmittelkarte hat er ihm die Kleiderkarte übergeben. Fäustchens Antwort: "Dann bringen Sie mir Apfel im Schlafrock!" Horst von Möllendorff hat eine leichte Hand und verfügt über spielerischen Humor. Sein Fäustchen ist dem kleinen König näher als Adamson. Die heiteren Fäustchen-Geschichten gehören in den Bereich der Komödie. Insoweit stehen sie im Kontrast zu den meist tragikkomischen Episoden aus dem Leben Adamsons. Sie bringen eine neue Note und Qualität in die Kategorie der Bildergeschichte ohne Worte. Die leise Melodie, die zarte Regung, die sanfte Reaktion, die heiter-gelassene Weitsicht bereichern die liebenswerte Kunst der Comic-Strips. Im Gegensatz zu Adamson ist Fäustchen teilnahmsvoll und mitleidig. Er legt dem schmelzenden Schneemann einen Eisbeutel auf den Kopf, versorgt den im Zoo schwitzenden Eisbären mit einer Portion Speiseeis, gießt Wasser auf die welkenden Blumen des wartenden Liebhabers und stützt die hinfällige Vogelscheuche mit einem Stock. Einer schier endlos plaudernden Dame bringt er eine Tasse Kaffee an die Telefonzelle. Fäustchen ist geduldig und unerschrocken. Selbst ein Nachtgespenst kann ihn nicht einschüchtern. Am Morgen dient es als Tischdecke... Hans Jürgen Press: Der kleine Herr Jacob
Auf den Spuren von Fäustchen wandelt "der kleine Herr Jakob" von Hans Jürgen Press (1926-2002). Zunächst hieß die Comic-Figur "mein kleiner Freund Jakob". Beginnend in den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts erschienen die Bildergeschichten im "Sternchen", der Kinderbeilage der Illustrierten "Stern".
In den leise erzählten Geschichten von Fäustchen und Herrn Jakob kann es naturgemäß nicht zu Knalleffekten kommen. Die Reaktion des Lesers/Betrachters ist ein behagliches Schmunzeln.
Effel und Peynet Die Poesie, der stille Humor, die das Herz erwärmende Heiterkeit der Comic-Strips mit Fäustchen
Jean Effel hat sich vor allem mit seinen Bildzyklen "La creation du monde" und "La creation de I'homme", die bald nach dem 1. Weltkrieg erschienen, einen großen Liebhaberkreis geschaffen.
Auch er erfand eine Comic-Figur, die das Herz vieler Menschen eroberte, den "kleinen Engel". Dem stand nun wieder ein andersartiges Betätigungsfeld offen: Himmel und Erde, der ganze Weltraum. Wieder einmal hatte ein Künstler die den Comic-Figuren gesetzten Grenzen verändert, hier sogar weit hinausgeschoben. Neben das Tier und den König, die den Kleinbürger ablösten, "überflügelte" nun der "kleine"(!) Engel den sprachlosen Akteur der Bildergeschichten ohne Worte.
Natürlich tut der kleine Engel Gutes, und dabei schöpft er seine besonderen Kräfte aus. So rettet er beispielsweise einen Schlafwandler davor, vom Dach abzustürzen. Einem Flieger bringt er mit unschuldiger Miene die bereits zur Erde sausende Bombe zurück. Engel können fliegen! Übrigens hat auch Peynet Engel in seine Comics geholt. Anrührend ist zum Beispiel die Geschichte von dem kleinen Schutzengel, der eine Mutter mit Kleinkind in einer dachlosen Hütte bei strömendem Regen sitzen sieht. Er informiert Kollegen, und alle zusammen bilden mit ausgebreiteten Armen und Flügeln ein Dach, so dass die Mutter ihren winzigen Schirm schließen kann und mit dem Baby im Trockenen bleibt.
Literaturempfehlungen:
"Der kleine König" - 56 Bildgeschichten von Otto Soglow - 1978 Rowohlt Verlag / King Features
© Joachim Klinger - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009 Folgen Sie nächsten Sonntag weiter dem Vater der Geschichten von "Julle und Vatz" bei seinen Betrachtungen über Bildergeschichten, Comics und Cartoons.
Redaktion: Frank Becker |