… als wäre er einer von uns
Der Streit um des Türken Wurst
Inszenierung: Martin Petschan – Regieassistenz: Beril Erogullari, Tanja Sicignano, Kerstin Trant – Bühne: Jan Bauerdick & Frank Fischer – Kostüme: Maya Fichtel – Grafische Gestaltung: Hannah Dickel
Mit: Monika Owart (Dr. Ursula Bräsemann) – Sebastian Freund (Matthias Scholz) – Fabian Steinberg (Erol Oturan) – Christina de Bruyckere-Monti (Melanie Pfaff) – Philip Zangerl (Torsten Pfaff)
Mit ihrem permanent aktuellen Stück „Extrawurst“ haben die beiden ausgewiesen scharfzüngigen Kabarett- und Drehbuchautoren Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob seit der Uraufführung 2019 am Hamburger Ohnsorg-Theater an zahlreichen Bühnen bundesweit große Erfolge feiern können. Nun hat das Wuppertaler TiC-Theater die bittere Gesellschaftskomödie auf den Spielplan genommen und am vergangenen Freitag brilliant auf seine Bühne gebracht. Der dramaturgie- und bühnenerfahrene Schauspieler Martin Petschan, der sich in den vergangenen Jahren am Wuppertaler Schauspiel einen Namen gemacht hat, konnte für die Regie des inszenatorisch tückischen Kleinstadt- und Kleingeist-Dramas gewonnen werden, und es gelang ihm, die mit scharfen Schnittkanten ausgestattete Satire zum allseitigen Gefallen von Fachwelt und Publikum bravourös umzusetzen.
Über die erbsenzählerischen Untersuchungen des 2. Vorsitzenden Matthias Scholz (großartig innerlich brodelnd: Sebastian Freund) zur Kapazität eines neuen Gartengrills, dessen Wurstausstoß und Wurstnutzung, der für den provinziellen Tennisclub TC Lengenheide neu angeschafft werden soll, kommt es zu einer fatalen Grundsatzdiskussion, weil ein Vereinsmitglied, Erol Oturan (moderat zurückhaltend: Fabian Steinberg) Moslem mit türkischen Wurzeln ist. Der darf nämlich nichts von einem Grill essen, auf dem Schweinefleisch gebraten wird/wurde. Daß er gar keine Sonderbehandlung möchte, interessiert plötzlich niemanden mehr, denn darüber warum das mit den moslemischen Essensregeln so ist, ob doch ein zweiter Grill für den einen Moslem angeschafft oder überspitzt weitere für Veganer, schwule Vegetarier oder sonstwelche „Randgruppen“ entbrennt ein fundamentaler Streit, wohlgemerkt unter den „echten Deutschen“, die ihre Positionen streitangepaßt in Windeseile wechseln können. Es geht um Toleranz, Religion(en) Atheismus und den Widerstreit von Kulturen.
Ebenso raffinierte wie anspruchsvolle Szenenrückblenden mit Stop- und Neustarttaste lassen die Diskussion immer neue Wendungen nehmen, gegen auch die bemühte 1. Vorsitzende Dr. Ursula Bräsemann (von wunderbarer Überheblichkeit: Monika Owart) kein Mittel weiß. Ins Zentrum des Streits rückt stets wieder er, der Moslem. Matthias Scholz fühlt und äußert grundsätzlich eine Ablehnung der ihm aufgezwungenen Integration fremder Kulturen, die er mit immer schärferen, verletzenderen Argumenten ablehnt. Torsten Pfaff (hinreißend explosiv, hochmütig, kleingeistig und eifersüchtig: Philip Zangerl, der die Glanzleistungen der anderen noch überstrahlt) läßt seinen ganzen Haß gegen den vermeintlichen Nebenbuhler und Orient-Macho Erol heraus, und sogar dessen ihrem Tennis-Doppel-Partner zugewandte Frau Melanie Paff (temperamentvoll wandelbar: Christina de Bruyckere-Monti) öffnet für versteckte Vorbehalte ein unter Druck stehendes Ventil. Da wird gedroht, beleidigt, verdächtigt, geschubst. Und jeder Versuch einer Beruhigung der Situation führt zur nächsten Eskalationsstufe.
Sowohl erschütternd und entlarvend als auch von tiefem bösem Humor präsentiert das Ensemble die Hilflosigkeit der Argumentation, wenn die Eiterblasen der Mißgunst, der Vorurteile und des „WIR ./. ER“ aufbrechen, wenn der vorgebliche Freund ein Fremder wird, von dem man in unbedarfter Gutrede spricht: „… wir behandeln ihn, als wäre er einer von uns“. Ein brühheiß-eiskaltes Wechselbad. Sieht man von der etwas zäh moralisierenden, zu lang geratenen Schlußpointe ab: Ein Grand Slam für Regie und Ensemble - und mit Bravour gelungen.
Kartenbestellungen + Weitere Aufführungstermine: www.tic-theater.de - Tel. 0202-772211
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