Blütenzweig
in memoriam Philomena Franz (1922-2022)
Und dann legte sie sich
Kalt war der Abendhauch
In ihr einsames Bett das wie immer
Ablegen sollte in die uferlose Nacht
Die rote Kerze auf dem Nachttisch
Zirkelte den Raum ab mit Wimpernschatten
Auf ihren Lippen blühte eine Rose
In die letzten Geräusche
Die den fünften Stock anflehten
Als die Nacht verebben wollte und der Morgen
Seinen Bug ins Dunkel stellte
Wurden die Wellen schneller und dünner
Die rechte Hand kam dem Mund zur Hilfe
Der Boje aus Lied und Schmerz
Um dann doch zu sinken
In den alten Brunnen von dem sie immer sang
Wo weit die Puszta sich dehnte
Gott ein fernes Licht
Das in ihr aufging
Um vier Uhr
Auf dem Blütenzweig in ihrem Herzen
Setzte sich ein Vogel
Und singt
Immer noch
Immer weiter
In uns
Aus:
Matthias Buth – „Wo Worte Brot waren und warme Milch“
PalmArtPress, Berlin 2024
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