Eine neu zu definierende Baukultur

Architekturstudentinnen entwickeln Ideen zu einer nachhaltigen Bauwende

von Uwe Blass

v.l.: Saskia Bachmann, Hanna Stallmann, Lena Königbauer, Dimitry Feller, Valentin Riede, nicht im Bild -Christopher Schulz- / Architektur - Foto: UniService Transfer
 
Eine neu zu definierende Baukultur

Studierende der Architektur entwickeln überzeugende Ideen 
zur Umsetzung einer nachhaltigen Bauwende
 
Architects 4 Future, eine Vereinigung von Architekten, Ingenieuren, Handwerkern und Entwicklern, setzen sich für einen nachhaltigen Wandel im Bauwesen ein, weil sie sagen, daß der Bausektor und der Betrieb von Gebäuden in Deutschland und anderen Ländern ca. 40% der Treibhausemissionen und 55% des Müllaufkommens verursachten. Die großflächige Versiegelung für neue Siedlungen nehme allein in Deutschland eine Fläche von ca. 80 Fußballfeldern ein, zerstöre so Ökosysteme und verstärke Hitzeeffekte und Hochwasserrisiken. Im Februar 2023 forderten sie in einem 10-Punkte-Plan eine ganzheitliche Bauwende und eine neu zu definierende Baukultur.
 
Ein gesellschaftlicher Umdenkprozeß
Der Klimawandel sei kein vorübergehendes Phänomen, daß man jederzeit abwählen könne, sagt Annette Hillebrandt, Architekturprofessorin an der Bergischen Universität. Es gehe darum, die Herausforderung Bauwende der Bevölkerung sichtbar zu machen und die Menschen zu animieren, sich zu beteiligen und mit den Fachleuten an einem Tisch zu sitzen, um Lösungen zu finden. An ihrem Lehrstuhl für Baukonstruktion/Entwurf und Materialkunde an der Bergischen Universität haben sich nun Studierende die Forderungen der Architects 4 Future ganz genau angeschaut und sich gefragt, mit welchen Methoden und Ideen man diesen Umdenkprozess in die Gesellschaft einbringen kann. Dabei entstanden u.a. fünf starke Vorschläge, die Fachleute zum Nachdenken anregen können.
 
Nachhaltige und gesunde Baupraktiken für alle
Saskia Bachmann und Hanna Stallmann entwickeln eine für jedermann zugängliche App mit dem Namen „Baufuture“. Statt mühsam unzählige Webseiten zu durchforsten, finden Nutzer auf dieser App kompakte und verständliche Informationen, die auf den Forderungen der Architects for Future basieren. „Wir wollen das ganze Wissen bündeln und allen zugänglich machen, also sowohl Architekten und Planern, als auch Bauherrn und interessierten Bürgern“, sagt Bachmann. „Die App ist interaktiv gestaltet, zu jeder Forderung gibt es Quizfragen, um sein Wissen zu testen, außerdem findet man je ein Beispiel." Dabei werden verschiedene Ansätze verfolgt, um bestmögliche Handlungsempfehlungen bereit zu stellen. Beispielsweise werden für das kreislaufgerechte und klimapositive Bauen Materialien aufgelistet und erklärt, wobei auf die bereits vorhandene Datenbank der Materialbibliothek Deutscher Hochschulen zurückgegriffen wird. Um zu erfahren, wie gesundes Bauen funktioniert, stehen den Nutzern selbst erstellte Checklisten zur Verfügung. Forschungsansätze für die Stärkung der Klimaresilienz werden praxisnah durch bereits bestehende Beispiele erklärt, wobei diese App mit neuen Informationen immer weiter ausgebaut werden kann.
 
Recyclingstation vor Ort
Der Student Dimitry Feller hat sich Gedanken zu den vielen Arbeitsmodellen und Prototypen Architekturstudierender gemacht, die im 3-D-Druck hergestellt werden und danach meist im Müll landen. „Mir ist das Problem an unserer Uni aufgefallen. Wir stellen sehr viele 3-D-Drucke her, weil bei uns sehr viel Wert darauf gelegt wird, Formsprache zu entwickeln und das Ganze plastisch auszudrücken.“ Studierende brächten manchmal bis zu 10 Modelle wöchentlich mit und Feller kam auf die Idee, die nicht mehr benötigten Plastikexponate an der Hochschule zu recyceln. „Wenn wir dieses Plastik der 3-D-Drucke sammeln, schreddern und wieder einschmelzen, können wir daraus neues Filament herstellen, um es wiederzuverwenden.“ Eine Recyclingstation vor Ort schärfe zusätzlich die Sicht auf den nachhaltigen Umgang mit Kunststoff.
 
Beat the Heat
Mit den vermehrt durch den Klimawandel auftretenden Hitzewellen hat sich Christopher Schultz beschäftigt. „Starke und lange Hitzeperioden werden im städtischen Raum häufiger und regelmäßig lokale Hitzeinseln ausbilden. Ein hoher Grad an versiegelten Flächen und zu wenige Grünflächen verschärfen diese Entwicklung. Dabei werden insbesondere vulnerable Personengruppen, wie Kinder und Ältere, gefährdet sein. Ziel muß es sein, das urbane Mikroklima über niederschwellige und Low-Tech-Eingriffe bürokratiearm, effizient und schnell zu verbessern“, erklärt er. Wissend, daß deutsche Städte selten flüssig sind, wartet Schultz mit kostengünstigen, schnell umzusetzenden Best-Practice-Ideen auf, die zeigen, wie man das Mikroklima verbessern, die Lebensqualität steigern, die Klimaresilienz stärken und Freiflächen mittels vieler kleiner Maßnahmen, aktivieren kann. „Das sind Beispiele, die relativ schnell umgesetzt werden können, ohne auf die Stadt oder Investoren angewiesen zu sein“, erklärt er. „Es geht um Pavillons, also Showrooms, die in den Städten aufgestellt werden können und die auf großen versiegelten Plätzen beispielsweise durch Grünfassaden zeigen, daß Verschattung auch ohne großen baulichen Aufwand additiv möglich ist. Dadurch werden die Aufenthaltszeiten verlängert. Das ist dann gekoppelt mit Informationsmaterial, welches zeigt, daß ich diese Ideen auch in meinem eigenen Quartier umsetzen kann. So kann man für sich selber Fachmann/frau werden und eigenständig etwas tun.“
 
Installationen im Stadtzentrum
Um Menschen auf der Straße auf irgendein Thema aufmerksam zu machen, reicht schon lange keine Informationstafel mehr. „Das zieht niemanden mehr an“, sagt Valentin Riede, der sich eher Installationen vorstellen kann, die er als „Attraktor“ bezeichnet. Auf städtischen Plätzen könnten z. B. verschieden große Würfel aufgebaut werden. „Diese Würfel stehen für Beton, Ziegelmauerwerk, Kalksandsteinmauerwerk, Stampflehm und (Fichten-) Holz. Die Oberflächen sollen aus selbigen Materialien gefertigt sein, das Traggerüst besteht allerdings aus Holz. Die Größen der Würfel beziehen sich auf die Anzahl der CO2- Emissionen der Baustoffe.“ Die Größenunterschiede der Würfel machen dem Betrachter eindringlich deutlich, welche Materialien am nachhaltigsten sind. An einem anderen Beispiel verdeutlicht Riede anhand von aufgemalten Grundrissen die Wohnverhältnisse gestern und heute. „Diese Grundrisse sollen den Betrachter auf den immer größer werdenden Wohnflächenverbrauch (pro Kopf) aufmerksam machen“, sagt er. Die Installationen sollen abstrakte Entwicklungen verständlich und greifbar machen, um einen Dialog zwischen Bürgern und Aktivisten zu fördern.
 
Energieberater werden
Alle Maßnahmen, die man im Zuge des nachhaltigen Bauens anwenden kann, fruchten jedoch nur, wenn man genügend Kenntnisse der Gesamtsituation hat. „Seit dem Inkrafttreten des GEGs 2020 (Gebäudeenergiegesetz) wurde das staatliche Interesse an diversesten energiewirksamen Einzel- wie auch Gesamtmaßnahmen an Wohn- und Nichtwohngebäuden schriftlich festgehalten und Rahmenbedingungen betreffend Umsetzungshilfen geschaffen. Eine erste, oberflächliche und daher auch kostenlose Energieberatung ist sogar Pflicht bei umfangreichen Umbauten bzw. beim Erwerb von Ein- oder Zweifamilienhäusern. Dennoch ist es sinnvoll, eine weitergehende Betreuung in Anspruch zu nehmen“, sagt die Studentin Lena Königbauer und schlägt die Implementierung eines Energieberaterscheins im Studium vor. „Der Architekt fungiert seit jeher als Bindeglied zwischen den Interessen der Eigentümer/ Investoren, den gesetzlichen und physikalischen Rahmenbedingungen und der Ausführung vor Ort“, erklärt sie. „Ein Architekt sollte über Grundkenntnisse von diversen Gewerken verfügen, daher halte ich diese Berufsgruppe im Gesamtgefüge für einen qualifizierten Ansprechpartner mit umfangreichem Möglichkeitsspektrum.“ Die frühe Fortbildung als Energieberater sei sowohl für junge Leute attraktiv, da man weitgehende Möglichkeiten eröffnet bekomme, um zum Beispiel einen Grundstein für eine frühe, studienunabhängige Selbstständigkeit legen zu können. Zusätzlich würden die Kenntnisse und Erfahrungen in jungem Alter schon erweitert und realitätsnah fundiert. „Der Architekt ist in vielen Fällen der erste Ansprechpartner in Sachen Planung und Kosten, und genau da könnte man die derzeitige Schulungslücke schließen.“ Investoren könnten so durch umfangreich ausgebildete Fachkräfte vom Gedanken des nachhaltigen Bauens überzeugt werden.
 
Diese fünf unterschiedlichen Wuppertaler Projekte zeigen, wie man zumindest anfangen könnte, die Bauwende anzuschieben. Weitere Projekte werden sicherlich folgen müssen, um nachhaltige Ideen in unserer Gesellschaft zu verankern.
 
Uwe Blass
 
An dem Forderungskatalog der Architects 4 Future haben die Studierenden Saskia Bachmann, Hanna Stallmann, Lena Königbauer, Dimitry Feller, Christopher Schulz und Valentin Riede unter Leitung von Prof. Dipl.-Ing. Annette Hillebrandt vom Lehrstuhl für Baukonstruktion/Entwurf und Materialkunde Projektideen entwickelt.