„Erwartung“ - Lucio Fontana (1899-1968)
im Von der Heydt-Museum Wuppertal 05.10.2024-12.01.2025
„Wichtig ist nur die Idee, ein einziger Schnitt genügt“
(Lucio Fontana)
Seit knapp dreißig Jahren gab es in Deutschland keine Ausstellung dieses wegweisenden Künstlers aus dem 20. Jahrhundert mehr. Die letzte fand 1996 in der Frankfurter Schirn statt, die erste Ausstellung nach seinem Tod 1969 aber im von der Heydt- Museum in Wuppertal. Leider ist der von Günter Aust dazu erstellte gelochte Katalog vergriffen.
Lucio Fontanas Bedeutung bezüglich der Radikalität seiner Konzepte kann mit der von Kasimir Malewitsch oder Marcel Duchamp verglichen werden, zerstört er doch ikonoklastisch mit seinen Schnitten und Löchern die Fläche von Leinwand und Papier, also die Grundlagen der Malerei seit Jahrhunderten.
Mit seinen Schnittbildern, die er „Erwartung“ nannte (Attesa) wurde er dem Publikum bekannt. In der Wuppertaler Ausstellung werden Werke aus der Zeit der 1930er Jahre bis zu seinem Todesjahr 1968. gezeigt. Allein 40 Positionen kommen aus der Mailänder Fondazione Lucio Fontana, weitere aus Amsterdam und aus rheinischem Privatbesitz. Vier Arbeiten befinden sich im Bestand des vdHM. Es sind Keramiken zu sehen, Zeichnungen, Rauminstallationen und auch Fotografien seines „künstlerischen Komplizen“, des Düsseldorfer Fotografen Lothar Wolleh, dessen Fotografien aus dem Atelier Fontanas einen eigenen Raum füllen. Mit ihm zusammen hat er u.a. die Reliefkiste entworfen, die in diesem Raum der Ausstellung ausgestellt ist. Da wurden schwarze, weiße und orangene ausgesägte Holzausschnitte in einer Kiste übereinandergelegt. Den Boden bildet eine unregelmäßig gelochte Aluminiumplatte, die hier als eigenes Werk daneben liegt. Seine Zeichnungen dienen quasi als Ideenspeicher für sein Werk. In seinem Doppelselbstporträt (1946) sieht er sich sowohl teuflisch aggressiv wie verängstigt und beengt, also als schizoide Persönlichkeit?
In der Ausstellung wird deutlich, wie Lucio Fontana als Grenzgänger zwischen Figürlichkeit und Abstraktion pendelt.
Sein Vater war kommerzieller Bildhauer in Rosario de Santa Fe (Argentinien). Die Familie stammte aus Italien. Lucio geht in Italien zur Schule, studiert anschließend und wird Bauleiter besucht auch eine höhere Schule für Kunsthandwerk. Zwischen Argentinien und Italien pendelnd, beginnt er 1947 seine künstlerische Karriere in Mailand, wird mit seinem Manifesto Bianco wahrgenommen als ein Kunsttheoretiker, der nach dem Krieg die Kunst von Grund auf erneuern will. Geschwindigkeit, Physik, Materie, die Einheit von Zeit und Raum sind seine Begriffe, mit denen er das „vorangegangen Zeitalter einer Kunst paralysierter Farben und Formen“ beendet sah. Er erfindet in Manifesten die Kunstform des Spatialismo, eine Art Informel des Raumes, in dem sich alle Kunst abspielt. Mit „Concetto spaziale“ (Raumkonzept) sind viele seiner Arbeiten nach 1947 überschrieben, von denen die mit mehreren Schnitten als Attese bezeichnet wurden, die mit Einzelschnitt als Attesa. Manche Schnitte erscheinen schwarz, weil hinter der Leinwand schwarzes Seidentuch angebracht wurde, bei manchen blickt man ins Leere. Jedenfalls ist ein konkreter Blick hinter die Oberfläche in den Raum hinter die Leinwand durch die Schnitte nicht möglich. Der Raum und seine Erfahrung werden zunächst verweigert (siehe aber unten „Ambiente spaziale“) entpuppen sich als virtuell. Wichtig war ihm das Loch der Oberfläche. Die Anordnung der Löcher (Buchi) auf Leinwand, Metallplatten oder Papier erinnern an Sternenhimmel oder Galaxien Alles andere als ein Bürokrat, lochte Fontana nicht der Ordnung wegen. Seine Löcher und Schnitte entstanden aus künstlerischem Konzept, aus bildhauerischem Impuls heraus, sind auch kein Manifest von Gewalttätigkeit, keine Folgen von Maschinengewehrsalven oder Messerstechereien, keine Analogien von Krieg oder Stadtfestattentaten. Der Frage der Gewalttätigkeit bei Fontana müßte eigens nachgegangen werden. Immerhin schreiben Zeitungen von einer „Ekstase der Gewalt“ (zeit-online). Nein, nur die Bildebene, die Wahrnehmung von Leinwand und Papier wollte er verändern. Schon mit seinen farbigen Keramik-Tellern (Battaglia/ Schlacht 1954; Maschera/ Maske 1954 wurde die Ebene aufgegeben und in Raumoszillationen verwandelt. Schlachten nehmen überhaupt einen merkwürdigen Raum in seinem Werk ein. In der kleinen Terrakotta Battaglia 1947, glasiert und bemalt geht es drunter und drüber. Mit Mühe könnte ein Reiter auf Pferd identifiziert werden. Das Gemälde „Battaglia/Schlacht 1939-40“ (Tempera und Chinatusche, Gips auf Karton, 49,5 x 146 cm) wurde bisher selten gezeigt.
Wie stark Lucio Fontana die Kunst der Nachkriegszeit beeinflußt hat, kann in den Räumen nachvollzogen werden in denen Wegbegleiter und Zero-Künstler, Zeitgenossen der Sechziger ausgestellt sind: Otto Piene, Günter Uecker, Heinz Mack u.a.. Schon an diesen Namen wird deutlich wie stark Fontana im Rheinland präsent war und ist, was sich an der Liste der musealen wie privaten Leihgeber für die Ausstellung zeigt. Eine der ersten großen Retrospektiven des Künstlers fand in Schloß Morsbroich/ Leverkusen statt, nach einer ersten Ausstellung in der Galerie Schmela in Düsseldorf (1960).
Ambiente spatiale con néon
Einen Höhepunkt der Ausstellung bildet am Ende das „Ambiente spatiale con néon“, ein quadratischer Raum, der vollständig mit pinkfarbenem Stoff ausgeschlagen wurde und der mit einer pinkfarbenen, langen, fantasievoll gebogenen Leuchtstoffröhre beleuchtet wird. Bei dem hier eingerichteten Raum, ursprünglich konzipiert für eine Einzelausstellung in Eindhoven und Amsterdam, gezeigt auf der Dokumenta 1968, handelt es sich um eine Rekonstruktion nur für diese Ausstellung. Ähnliche Entwürfe, seine Ambienti auch mit Schwarzlicht waren zuvor schon entstanden. Da hatte sich sein Interesse weg von einer Skulptur mehr auf den umgebenden Raum gerichtet. Er sprach bei diesem Raumkonzept von seinem „Ei des Kolumbus“.
Auch die Zusammenhänge seiner Kunst mit dem mussolinischen Faschismus können hier nur gestreift werden. Es gab unter Mussolini keine entartete Kunst, keine Liste von Gottbegnadeten, aber natürlich wurden Kunst und Künstler sehr genau kontrolliert und beobachtet, wollte man doch an deren Modernität teilhaben. In diesem Zusammenhang entstand u.a. seine Halle des Sieges mit der 6 m hohen Gips-Göttin Victoria und zwei sich aufbäumenden Pferden zur Feier der Eroberung Äthiopiens (Abb. A S. 52)
Zur Ausstellung erschien ein Katalog mit einer Biographie, einem Verzeichnis aller ausgestellten Werke und überaus lesenswerten Texten zum Gesamtwerk, zu den Zeichnungen und Ambienti spaziale, zur Zusammenarbeit mit Lothar Wolleh und der Fontana- Rezeption in Deutschland.
Katalog: Lucio Fontana – „Erwartung“
Roland Mönig (Hrsg.), Redaktion Beate Eickhoff, Henrike Stein. Übersetzung (Italienisch -Deutsch) Caroline Gutberlet, (Niederländisch-Deutsch) Gerhard Scanlan.
© 2024 Verlag der Buchhandlung Walter König / Von der Heydt-Museum Wuppertal / Fondazione Lucio Fontana (Mailand) / Autoren und Autorinnen, 159 Seiten, broschiert, Texte von Roland Mönig, Luca Massimo Barbero, Maria Villa, Antoon Melissen, Beate Eickhoff, 117 Abbildungen teils in Farbe - ISBN 978-3-89202-116-2 (Museum), ISBN 978-3-7533-0731-2 (Verlag).
35,-€
Weitere Informationen: www.buchhandlung-walther-koenig.de/
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