Wow, eine Einladung zum Staunen
Das museum reinhard ernst in Wiesbaden
Von Johannes Vesper
Welch ein Geschenk! Der Sammler und Mäzen Reinhard Ernst schenkt der Stadt Wiesbaden seine Kunstsammlung , ausschließlich abstrakte Kunst aus der Zeit von seinem Geburtsjahr an bis heute. Und nicht nur die, sondern auch das Museum dazu und den Unterhalt desselben für knapp 100 Jahre. Die Stadt hat das Grundstück in Erbpacht zur Verfügung gestellt.
1985 hatte Fumihiko Maki (1928-2024), Pritzker Preisträger 1993, den Wunsch geäußert, im Laufe seines Lebens zehn Museen zu bauen. Das Museum in Wiesbaden wurde am 17.06.24 eröffnet, es ist sein zehntes und sein erstes in Europa. Wenige Tage vor der Eröffnung verstarb der Architekt. Museen haben ihn fasziniert, „weil diese Gebäude die Kraft der Architektur im öffentlichen Raum nutzen, um so die Allgemeinbildung, die Inspiration und den Aufbau von Gemeinschaft zu fördern“. Dem menschlichen Erleben von Kultur wurde hier Raum geboten. Die Räume im Erdgeschoß stehen dem Publikum unabhängig von einem Besuch der Kunstsammlung zur Verfügung, sind vom Wiesbadener Prachtboulevard Wilhelmstraße quasi als öffentlicher Platz über eine niedrige Freitreppe zu erreichen. Dort gibt es einen Raum für Kunstvermittlung („Farblabor“), den Veranstaltungssaal „Maki- Forum“ den Museumsladen und das Restaurant rue 1. Der zentrale Innenhof ist ein öffentlicher nicht zugänglicher Knotenpunkt, ein heller Lichtschacht, der für Besucher aus allen Etagen durch große Glasflächen einsehbar ist und so Orientierung bietet. In ihm stehen auf einfachem, schwarz-weiß diagonal strukturiertem Boden ein 60 Jahre alter japanischer Fächerahorn und die tonnenschwere Skulptur aus Corten Stahl „Buscando la luz III“ von Eduardo Chillida, die eigens für diesen Ort erworben wurde. Der Innenhof als trockener Steingarten symbolisiert die Natur und greift die japanische Tradition des „Tsubo-Niwa“ auf, eines sehr kleinen Hofgartens im Haus.
Der moderne Bau (Gesamtfläche von 64x46 Metern, 9000 qm Nutzfläche, davon 2000 qm Ausstellungsfläche) mit seinen vier Quadern um den Innenhof ist ein Blickfang auf der Wiesbadener Kulturmeile zwischen Staatstheater und Kurhaus, dem Nassauischen Kunstverein, dem Literaturhaus „Villa Clementine“ und dem rund 100 Jahre älteren Landesmuseum, bildet mit den Historismusbauten gegenüber ein Eingangstor zur Stadt. Für die strahlend weiße Fassade wurde Bethel Granit aus Vermont gebrochen, der dank seiner Farbe und seiner Widerstandsfähigkeit besonders geeignet erschien. 6000 qm Fassadenfläche wurden aus 24 Tonnen schweren Granitblöcken herausgeschnitten und sogenannte Hakensteine für die fugenlosen Ecken. Die Alu-Leisten vor einigen Terrassen und Fenstern werfen das Licht streifig auf Fassaden, in die Galerien und Räume im Innern. Diese vertikalen Lattengitter, japanisch „Senbon-goshi“, gehören zur japanischen Bautradition. Einige Fenster erlauben den Blick hinaus in die Stadt und in den Innenhof.
Der linke Kubus an der Wilhelmstraße ist dem Architekten gewidmet. Dort sind von ihm entworfene Gebäude und Zeichnungen, auch etliche in Modellen zu sehen. Dort ist auch das Projekt dokumentiert, welches er bereits 2012 mit Reinhardt Ernst in Natori (Japan) realisiert hat: Das „Haus der Hoffnung“. Man erkennt die dezente Eleganz seiner Entwürfe und Elemente wie sie sich auch im museum re finden. Es wurde wie oben erwähnt von Fumihiko Maki entworfen, ausgeführt wurde der Bau von Hans-Peter Gresser, dessen Wiesbadener Architekturbüro sich in einer Jugendstilvilla auf dem Neroberg befindet. In den Räumen unterschiedlicher Höhe (bis zu 14 m) der anderen drei Kuben ist die Sammlung Reinhard Ernst zu sehen. Den Aufgang zur Treppe in 1. Obergeschoß ist deutlich und eindrucksvoll markiert mit der Skulptur aus verdrehten und verformten Leitplanken von Bettina Pousttchi (geb. 1971), deren Idee Reinhardt Ernst begeistert hat: Leitplanken für die Kunst. Sie hat ganz neue Leitplanken mit hydraulischen Pressen gestaucht, sie knallrot lackiert und ihnen erstaunliches, ästhetisches Leben eingehaucht („Vertical Highways“).
In der aktuellen Ausstellung sind 60 Werke ausgestellt, die alle nach 1950 entstanden sind und einen neuen modernen Umgang mit Farbe wagen, die nicht mehr nur mit dem Pinsel aufgetragen, sondern auch geschleudert, gegossen, getropft oder gesprüht wurde. Besonders beeindruckten die großformatigen, bunten Werke von Helen Frankenthaler(1928-2011), bei der das Bildzentrum oft leer bleibt. Werke von Pierre Soulages (1919-2022), Karl Fred Dahmen (1917-1981), Heinz Mack (geb. 1931) Hans Hartung (1904-1989), Josef Albers (1888-1976), Ernst Wilhelm Nay (1902-1968) und anderen. Diese Werke bezeichnen das große Spektrum der aktuellen Ausstellung. Die filigrane Skulptur „Raumplastik“ von Norbert Kricke (1922-1984) ergänzt an ihrem Standort wunderbar die vertikalen Lattengitter vor der Nordterrasse. Die vielgestaltigen Reliefs von Frank Stella - seiner Serie „Moby Dick“ ist ein ganzer Raum gewidmet - bilden einen eigenen Schwerpunkt. Tony Craggs (geb. 1949) Doppelskulptur „Pair“ (mehr als 6 m hoch) ragt durch zwei Etagen, darf sogar angefaßt werden. Das Neue hier besteht nicht nur in neuen Perspektiven, sondern bei Tony Cragg in taktilen Kunst-Erfahrungen. Der reiche und wichtige Teil japanischer Kunst der Ausstellung ist eine eigene Besprechung wert. Oliver Kornhoff, dem Direktor des neuen Museums ist unbedingt zuzustimmen, wenn er zusammenfasst: „Wow, eine Einladung zum Staunen!“
Eröffnungsausstellung „Farbe ist alles“. Museum Reinhard Ernst, Wilhelmstraße 1, 65185 Wiesbaden. Das Magazin No.1 erschien anläßlich der Einweihung des Museums für eine Sammlung europäischer, amerikanischer und Japanischer Kunst
ISBN 978-3-910941-00-7 Deutsch), …01-4 (Englisch), broschiert, 23x29,6 cm, 118 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen. 16,- € im Museumsshop.
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