Porträt einer Krimi-Ikone
Sherlock Holmes, seine Vorbilder und Epigonen
Der Detektivroman hat durch Arthur Conan Doyles legendäre Figur Sherlock Holmes eine Ikone bekommen, die wohl noch für lange Zeit beispielhaft für das Genre stehen dürfte. In ungezählten Auflagen erschienen, von diversen Schauspielern in zahllosen Filmen mehr oder weniger gut verkörpert, in Pastiches kopiert, persifliert, geliebt aber auch abgelehnt ist der koksende, Geige spielende und eher dissoziale Privatdetektiv das Synonym schlechthin für sein Gewerbe und Gegenstand zahlreicher Bücher mit Untersuchungen und Analysen geworden. Doyle hat mit Sherlock Holmes in der Tat eine der berühmtesten, auf jeden Fall aber bekanntesten Figuren der Literaturgeschichte geschaffen, nicht zu vergessen sein alter ego Dr. Watson.
Jürgen Kaube, Feuilletonist und mehrfacher Literatur-Preisträger hat nach umfangreicher Recherche - gehört sich ja wohl auch für ein Buch über den berühmten Detektiv - dessen Entstehungsgeschichte, „Karriere“ und öffentliche Wirkung recht genau und leicht verdaulich nachgezeichnet, ihn mit möglichen Vorbildern und den Detektiven anderer, späterer Autoren verglichen. Selbst für Leser, die zwar nicht unbedingt Sherlock-Fans sind, aber ein Herz für Literatur und Krimis haben eine spannende, unterhaltsame und informative Lektüre.
Wir erfahren alles über die Reihenfolge der vier Romane und 56 Geschichten, die Doyle zwischen 1887 und 1927 geschrieben hat, über Zeitgenossen und eventuelle Vorbilder wie Edgar Allan Poe, Wilkie Collins, Charles Dickens oder Adolf Müllner sowie über die verschiedenartigen Verbrechen, die Holmes in Havelock und Deerstalker aufzuklären hatte. Es war nämlich nicht immer Mord (wenn auch überwiegend) in Londoner Nebelnächten, sondern es gab auch Fälle von Betrug, Entführung, Raub und Erpressung, dazu einen Einbruch und einmal Falschmünzerei. Holmes´ Intimfeind Professor Moriarty wird gebührend gewürdigt. Besonderen Raum nimmt natürlich Holmes´ berühmtester Fall „The Hound of the Baskervilles“ ein. Erstaunlich für Fachleute und die Leserschaft ist, daß sich Arthur Conan Doyle nicht an den Fall des berüchtigten brutalen Serienmörders „Jack the Ripper“ herangewagt hat. Über die Gründe kann spekuliert werden.
Auch über spätere detektivische Gegenentwürfe wie Agatha Christies Miss Marple und Hercule Poirot, Rex Stouts Nero Wolfe, Harry Blyth´s Sexton Blake, Gilbert Keith Chestertons Father Brown oder Lady Molly of Scotland Yard von Emmuska Orczy schreibt Jürgen Kaube, indem er die Unterschiede zu Sherlock Holms analysiert. Daß Doyle Poes Auguste Dupin, der Detektiv in „The Murders in the Rue Morgue“ nur abgekupfert habe, bestreitet Kaube vehement.
Die Zahl von Verfilmungen und Verballhornungen ist enorm und läßt sich auf 100 Seiten, wenn auch eng bedruckt, einfach nicht umfassen. Doch lernen wir die bekanntesten Darsteller über die Jahrzehnte kennen und stellen fest, daß die Figur des Holmes von immer älteren Mimen gespielt wurde: war es 1908 noch der 28jährige Viggo Larsen, zählte Peter Cushing 1984 bereits 71 Jahre.
Die in Deutschland gedrehte Filmparodie „Der Mann der Sherlock Holmes war“ (1937) und die brillante Comic-Adaption „Nick Knatterton“ von Manfred Schmidt bleiben unerwähnt. Ein Namens- und Titelindex und eine Zeittafel fehlen leider, eber man kann ja (s.o.) nicht alles haben. Für Krimi-Freunde auf jeden Fall wunderbares Lesefutter.
Jürgen Kaube – „Sherlock Holmes“
Originalausgabe in der Reihe „100 Seiten“
© 2024 Reclam Verlag, 100 Seiten, Broschur, 11,4 × 17 cm, 10 farb. Abb. und Infografiken - ISBN: 978-3-15-020716-1
12,- €
Weitere Informationen: www.reclam.de
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