Sinfonieorchester Wuppertal unter Carl St. Clair
2. Sinfoniekonzert der 162. Saison.
Mozarts Violinkonzert und Berlioz´ Sinfonie fantastique
Sozusagen als Appetizer gab es zu Beginn Mozarts 5. Violinkonzert aus dem Jahre 1775, ein Höhepunkt der Violinliteratur. Danach hat der damals knapp 20jährige Mozart trotz seiner jugendliche Vorliebe für das Instrument (43 Violinsonaten!) nur noch wenig für Geige geschrieben und seine Karriere als Geiger beendet. Kolja Blacher, ehemals Sologeiger der Berliner Philharmoniker und als Solist bei vielen großen Orchestern gefragt, war hier der Solist. Um es gleich vorwegzusagen, die Aufführung hat uns nicht vom Hocker gerissen. Gleich beim ersten Orchestereinsatz zeigte sich wie heikel Mozart sein kann. Der ruhige Einsatz der Sologeige mit dem berühmten A-Dur Dreiklang bei feinem nicht zu großem Violinton ließ noch hoffen. Aber schon im Allegro aperto des 1. Satzes musizierten Orchester und Sologeige trotz des souveränen Dirigenten bei unterschiedlichen Tempovorstellungen nicht homogen miteinander. Lästiges Husten des Publikums störte zusätzlich. Im E-Dur Adagio des 2. Satzes, für Mozart eine seltene Tonart, gelang es dem Geiger nicht, eine musikalische Spannung aufzubauen oder gar zu halten. Im 3. Satz, ein Menuett in Rondoform, beeindruckte vor allem die alla Turka Episode in Moll, in der die tiefen Streicher eher als Schlagwerk, denn mit Kantilenen dienten. Ursprünglich hat es sich hier um eine musikalische Ballettszene gehandelt, die als solche nicht gebraucht worden ist. Die trübe Stimmung verlor sich bald. Der Satz lief heiter weiter mit Trugschlüssen und einem im Piano überraschend auslaufendem Schluß. Höflicher Applaus, keine Zugabe. Pause.
Danach ging es um die unerfüllte Liebe eines 24jährigen Musikers, Hector Berlioz. Neu daran war 1830, daß dieser seine Geschichte in einer Sinfonie musikalisch instrumental, als quasi als Musikdrama erzählt. Der Begriff stammt eigentlich von Richard Wagner Jahrzehnte später. Mit dieser Sinfonie habe Hector Berlioz die Programmmusik erfunden, heißt es, also rein musikalisch ein begrifflich faßbares Sujet dargestellt, wie im Riemannschen Musiklexikon nachzulesen ist. Das war nicht völlig neu. Schon Josef Haydn hatte Anfang der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts Sinfonien geschrieben, mit denen jeweils die Tageszeiten (Morgen, Mittag Abend, Nacht) hörbar werden sollten. Und auch in der Pastorale von Beethoven gibt es Regen und Gewitter zu hören.
Bei der „Episode aus dem Leben eines Künstlers“ geht es entsprechend den Satzüberschriften um heiße Träume: Ein Treffen mit der Geliebten auf einem Ball, um die Natur als Rückzugsort für Unglückliche, um Alpträume des Abgewiesenen unter Opium, in welchen er seine Geliebte erschlagen zu haben und deswegen selbst exekutiert worden zu sein glaubt. Anschließend träumt er wild von einem sinfonisch orgiastischen Hexensabbat mit der ehemals Geliebten als Oberhexe. Das Ganze endet unter Totengeläute und einem verfremdeten Dies irae aus der katholischen Messe.
Neu an dieser Sinfonie ist neben dem Programm ihr Klang dank mehrfach geteilt spielender Streicher, dank Ausweitung der Harmonie und vor allem etlicher Instrumente, die bis dahin in einer Sinfonie nicht verwendet worden waren, darunter zwei Harfen, Piccoloflöte, Englischhorn, kleine Klarinette, Ophicleide (Vorläufer der Tuba, hier 2 Tuben) dazu weiteres reiches Blech (im Original 3 Kornette).Gleich zu Beginn erscheint die Geliebte als fixe Idee, als Thema, welches im Verlauf nicht mehr verloren geht, aber nicht einfach zu identifizieren ist. Der Begriff kommt aus der Psychiatrie. Berlioz hatte auch einige Semester nicht sehr ernsthaft Medizin studiert, beim Anatomiekurs Leichenteile an Spatzen verfüttert!
Die Aufführung zeichnete sich durch musikalische Gewalt, Exaktheit bei hochamplitudiger Dynamik, reiche Agogik und musikalische Tiefe aus. Carl St. Clair gelang es hier mit dem glänzenden Orchester vom Anfang an bis zum dramatischen Ende die Atmosphäre im Konzertsaal zu packen. Die trotz Orgelpunkts dank u.a. eingestreuter Paukenschläge auffallende Zerrissenheit des 1. Satzes ohne musikalische Entwicklung schwankt zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, entspricht eher Abfolgen tongemalter Bilder als sinfonisch strukturellen Auseinandersetzungen. Im 2. Satz wurde der Ball im ¾ Takt mit voluminösen Streichern und den beiden Harfen prächtig gestaltet. Wunderbar das Zwiegespräch von Oboe und Englischhorn im 3. Satz, wobei die von starkem Schlagzeug-Donner unterbrochene beklemmende Stille am Ende auf die wüsten Träume mit dem Marsch zur eigenen Hinrichtung vorbereitet. Bei dem orgiastischen Klangrausch des letzten Satzes faszinierte das sensationell aufspielende Orchester unter Carl St. Clair das staunende Publikum. Stehende Ovationen, Bravi, frenetischer Applaus wollten nicht enden. Der Abend wird im Gedächtnis bleiben.
Zu Carl St Clair siehe das Interview im Konzertblog: https://www.sinfonieorchester-wuppertal.de/education/konzert-blog
Sonntag 27. Oktober 2024 11:00 Uhr, Montag 28. Oktober 2024 20:00 Uhr, Historische Stadthalle Wuppertal. Besetzung: Sinfonieorchester Wuppertal Carl St. Clair, Dirigent - Kolja Blacher, Violine.
Programm: Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791): Violinkonzert Nummer 5 a Dur -Hector Berlioz (1803-1869 ): Symphonie fantastique 1. Träumereien, Leidenschaften, Largo-Allegro agitato e appassionato assai 2.Ein Ball. Allegro non troppo 3. Szene auf dem Lande, Adagio, 4.:Der Gang zum Richtplatz, Allegretto non troppo, 5. Hexensabbat, Larghetto – Allegro
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