Sprachlos komisch (6)
Bildergeschichten ohne Worte
- von Adamson bis Ziggy -
Bisher haben wir uns auf die als Einzelakteur handelnde Comic-Figur beschränkt. Aber neben dem Clown, der allein ins Rampenlicht tritt, gibt es auch das Duo, das aus zwei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten bestehende Paar, denken wir nur an Dick und Doof oder Pat und Patachon. Gewiß gibt es komische Situationen im Miteinander von zwei wortlos handelnden Akteuren: die Stummfilme mit Dick und Doof beweisen es. Gleichwohl weiß man, daß normalerweise in der Kommunikation zwischen Menschen auch die Sprachebene vorhanden ist. Gespräch, Geplänkel und Streit bringen Spannung in eine Partnerschaft, der Wortwechsel belebt die Szenen, verbale Unverschämtheiten belustigen das Publikum.
Andy Capp
Das klassische Beispiel für erfolgreiche Comic-Strips, die einprägsame Figuren mit flott-frechen Sprüchen aufeinander prallen lassen, liefern Andy Capp (deutsch: Willi Wacker) und seine Frau Flo. Der immer arbeitslose Capp mit Schlägermütze liebt den Fußball und die Rauferei, spielt gern Billard und schäkert mit jungen Mädchen. Aber die hervorragenden Zeichnungen des Engländers Reg Smythe (1917-1998) leben von dem ruppigen Ton der Eheleute, die zwar einander zugetan sind, aber keine Gelegenheit auslassen, dem Partner "eins drauf zu geben". Seit 1956 dauert dieser Ehekrieg, an dem eine ständig wachsende Leserschaft feixend ihren Spaß hat. Aber wir wollen die Bildergeschichten ohne Worte nicht aus dem Blick verlieren. Allerdings wird es nur noch selten um Solisten gehen.
Vater und Sohn
Den rasch erregbaren Vater und seinen pfiffigen Sohn verbindet eine so innige Liebe, daß eine Mutter keinen Platz findet. Übrigens scheint das typisch für die Familie zu sein; die Ahnengalerie von Vater und Sohn kennt nur Väter und Söhne.
Die Liebe der beiden drückt sich vor allem darin aus, daß sie fest und treu zusammenhalten und gemeinsam durch Dick und Dünn gehen. Ihr Verhältnis ist voller Zartgefühl und Vertrauen. Sie sind ein Herz und eine Seele. Man denke nur an die Weihnachtsfeier!
Nie wären sie so populär geworden, hätten sich nicht Tausende von Menschen in ihnen wiedergefunden und mit ihnen identifizieren können und sie schließlich - was das Wichtigste ist! - liebgewonnen. Erich Ohser – durch den Freitod in Gestapo-Haft so früh aus dem Leben gegangen - hat uns Nachkommen hinterlassen, die wir nicht missen mögen und die bereits Generationen begleiten.
Hans Kossatz - Dackel Willi
Vom Duo zum Trio und Quartett nur ein Schritt? Mitnichten! Zu viele Personen in einem Comic-Strip verstoßen gegen das Prinzip der Konzentration.
Die Zeichnungen sind keß und flott wie der Dackel selbst und finden auch den Beifall humorvoller Menschen, die nicht als Tierfreunde gelten können.
Barlogs Schreckensteiner
Eine Ausnahme von der Regel, daß mehrere Personen im Comic-Strip die Konzentration des Betrachters zerstreuen, stellt die stumme Bilderfolge von Ferdinand Barlog (1895-1955) "Die fünf
Die Geschichten der fünf Schreckensteiner sind im guten Sinne lustig und konnten getrost den Kindern in die Hand gegeben werden. Sie sind so harmlos in einer schlimmen Zeit, daß man eine entsprechende Absicht des Künstlers vermutet. Aber auch die offizielle Propaganda des Dritten Reiches sah unpolitische Belustigung zur Ablenkung nicht ungern. Man denke an die große Zahl von Lustspielen im Film der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts.
"Die fünf Schreckensteiner" waren sehr beliebt - auch weil sie den Ablauf des "normalen" Lebens störten und Verwirrung stifteten, ohne daß man sie zur Verantwortung ziehen konnte. Da die Zeichnungen akribisch angelegt waren und in ihrer Perfektion auch plastische Wirkungen entfalteten, kamen sie in der Sammel-Broschüre (trotz Papierknappheit veröffentlicht!) noch besser zur Geltung als in der Berliner Illustrierten!
Simmelsurium Barlogs Zeichnungen zeugen von großem Talent und stehen in der Nachfolge von Paul Simmel
Bisher sind wir von berühmten Gestalten wortloser Comic-Strips ausgegangen - Adamson, der kleine König, Fäustchen, Max usw. -, jetzt wollen wir uns berühmten Zeichnern zuwenden, denen wir eindrucksvolle Beispiele dieser pantomimischen Kunst verdanken, allerdings keine gleichrangigen, unverwechselbaren Comic-Figuren.
Gerard Hoffnung
Der begnadete Cartoonist Gerard Hoffnung (1925 in Berlin geboren, 1959 in London gestorben) hat
Seine Zeichengeschichte "Birds, Bees and Storks" über den verlegenen Versuch, den kleinen Sohn aufzuklären, ist von zwingend lebensnahem Humor. Besonders gelungen erscheint mir die aus acht Bildern bestehende Geschichte von der selbsttätigen Kaffee-Maschine mit eingebautem Wecker. Sorgfältig erledigt sie für die erwartungsvoll lächelnde Frau im Bett die Zubereitung des belebenden Getränks, um es dann schließlich selbst zu genießen. Hoffnungs Botschaft: Bastelt nur eure Roboter, zum Schluß werden sie euch selbst überflüssig machen und entmachten. Ein klarsichtiger Prophet - dieser Gerard Hoffnung!
Walter Trier
Daß einem in diesem Zusammenhang Walter Trier (1890 in Prag geboren, 1951 in der Nähe von Toronto verstorben) einfällt, hat weniger mit dem (erzwungenen) Umzug des Künstlers von Berlin nach
Für Kinderbuch-Illustrationen war Trier geradezu prädestiniert, und man kann sich Kästner-Bücher gar nicht mehr ohne seine Bilder vorstellen. Der Umstand, daß er - wie Tomi Ungerer - leidenschaftlicher Spielzeug-Sammler war, zeigt seine Affinität zur Welt des Kindes, zu Spaß und Spiel. Eine Beobachtung, die für viele Karikaturisten gilt. Sie sind nicht selten hervorragende Kinderbuch-Illustratoren und manchmal auch Kinderbuch-Autoren wie zum Beispiel Tomi Ungerer, Maurice Sendak und Wolfgang Felten.
Daß Walter Trier auch Bildergeschichten gezeichnet hat, ist mir nur von der Zeit des Ersten Weltkrieges bekannt. Die Geschichte "Meier lernt fliegen" (1913) ist von kleinen Versen begleitet (Verfasser: H.R.); die Bilderfolge "Der Unverbesserliche", erschienen in der 21. Kriegsnummer der Lustigen Blätter Nr. 52 (1914), zeigt ein optimistisches Männchen im großkarierten Mantel, das einem schwarz gekleideten Herrn Meyer Siegesmeldungen von der Front überbringt und stets auf dessen grämlichen Pessimismus stößt. Solche Arbeiten mögen jungen Künstlern zum Broterwerb oder Einstieg in die Cartoon-Szene gedient haben.
Ziggy
Ein amerikanischer Vetter des kleinen Herrn Jakob ist "Ziggy" von Tom Wilson (*1931). Gnomenhaft Ziggy ist alterslos; er könnte ein kleiner Junge sein - manchmal benimmt er sich so - oder auch ein alter Mann - manchmal wirkt er so. Er ist durch und durch gutherzig - wie der Lektro - und umgibt Hund, Katze, Ente u.a.m. mit zärtlicher Fürsorge. Ab 1966 erschien Ziggy in amerikanischen Tageszeitungen. Ein Kritzelmännchen ohne zeichnerische Eleganz und doch ebenso sympathisch wie einprägsam, eine Symbolfigur liebenswürdigen Humors. Leider beschränkt sich der Künstler meist auf Cartoons, in denen sich Ziggy unter Sprechblasen duckt; Bildergeschichten ohne Worte sind selten.
Literaturempfehlungen:
Eduard Bass - "Die Wunderelf", 2007 Arco Verlag, Reihe Orca. ill von Walter Trier Gerard Hoffnung - "Vögel, Bienen, Klapperstörche" - 1968 Verlag Langen - Müller Hans Kossatz - "Dackel Willi und Familie Kaiser" - o.J. TOMUS Verlag München Paul Simmel - "Das war Paul Simmel - 1887-1933" - 1956 Verlag Das Neue Berlin Smythe - The undisputed Andy Capp" - 1972 Fawcwtt Publications e.o.plauen . "Vater und Sohn" - 1994 Philipp Reclam jun. Erich Ohser (e.o. plauen) - Gesamtausgabe - © 2000 Südverlag Konstanz Ferdinad Barlog - "Die 5 Schreckensteiner - ihre Streiche und Abenteuer" - 1940 Deutscher Verlag, Berlin © Joachim Klinger - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009 Folgen Sie nächsten Sonntag weiter dem Vater der Geschichten von "Julle und Vatz" bei seinen Betrachtungen über Bildergeschichten, Comics und Cartoons.
Redaktion: Frank Becker |