Seemann, Dichter, Daddeldu

Heute vor 90 Jahren starb Joachim Ringelnatz

von Frank Becker

Vor 90 Jahren starb Joachim Ringelnatz
 
Am 7. August im sächsischen 1883 in Wurzen als Hans Bötticher als Kind der Kunst zugeneigter und künstlerische tätiger Eltern geboren, führte der eigenwillige junge Mann nach schwerer, recht erfolgloser Schulzeit ein unstetes Leben. Mit seinem Wunschberuf Seemann konnte er nur zeitweise seinen Lebensunterhalt verdienen und hielt sich zwischendurch mit ungelernten Tätigkeiten als Jahrmarktshelfer, Hilfsarbeiter, Kommis, Gelegenheitsmaler, Buchhalter oder Helfer im Seemannsheim, Hausdichter der Münchner Bohème Bibliothekar und Fremdenführer über Wasser. Erste Erfolge, wenn auch nicht finanzielle brachten ihm sein bis heute beliebter Gedichtband „Die Schnupftabakdose“ und die Novelle „Die kleine Miss vom Ohio“.
 
Immerhin konnte der anfangs kriegsbegeisterte Mann, der sich derweil auch stets als Prosa-Autor und Lyriker betätigte, bei Kriegsausbruch 1914 bei der kaiserlichen Marine auf einem Minenleger unterkommen und schaffte es schließlich sogar bis zum Leutnant zur See. Dieser Zeit verdanken wir sein Buch „Als Mariner im Krieg“.
Ab 1919 nahm Hans Bötticher das Dichterpseudonym Joachim Ringelnatz an, unter dem er sein berühmt gewordenes alter ego, den Seemann Kuttel Daddeldu erfand, unter vielen anderen seine genialen „Turngedichte“, die „Reisebriefe eines Artisten“, „Allerdings“, das Kinderverwirrbuch“, die „Flugzeuggedanken“ und die „Gedichte dreier Jahre“ schrieb und einige seiner Bücher auch selbst illustrierte. Denn auch als Maler hatte er sich von frühester Jugend an betätigt.
Nachdem ihn die Nationalsozialisten ihm schon 1933 ein Schreib- und Auftrittsverbot gaben, war der Abstieg, ja das Ende des ohnehin bereits kranken Hans Bötticher besiegelt. Am 17. November 1934 starb Joachim Ringelnatz, den ich sicher nicht als einziger für einen der größten Lyriker deutscher Sprache halte, in Berlin an der Tuberkulose.
 
Seine Gedichte haben viele begnadete Interpreten erlebt, allen voran Günter Lüders und Heinz Reincke, aber auch Willy Reichert, Otto Sander und Harry Rowohlt wurden dem einzigartig skurrilen und unendlich weisen, klugen und lebensbejahenden Werk Ringelnatzens gerecht. In der Gegenwart hält ein wunderbarer Epigone, Dirk Langer alias Nagelritz in seinen Tourprogrammen auch mit eigenen Werken die Erinnerung an den dichtenden Seemann am Leben (www.nagelritz.de ).
 
Nichts geschieht
 
Wenn wir sterben müssen,
Unsere Seele sich den Behörden entzieht,
Werden sich Liebende küssen;
Weil das Lebende trumpft.
 
Aber wenn nichts geschieht,
Bleibt das Leben nicht einmal stehn, sondern schrumpft.
 
Was heute mir ins Ohr klingt,
Ist nur, was Klage vorbringt.
Und was ich mit Augen seh
An schweigender Not, das tut weh.
Aller Frohsinn in uns ist verreist.
 
Und nichts geschieht. – Und der Zeiger kreist.

Joachim Ringelnatz

Joachim Ringelnatz in den Musenblättern → hier !