Der alte Mann und sein Hund (39)

von Erwin Grosche

 Joachim Klinger pinx.
Der alte Mann und sein Hund (39)
 
Der alte Mann ging mit seinem Hund spazieren. Er stand auf dem Riemekeplatz und sah einen anderen Mann, der aus dem Abfalleimer Pfandflaschen fischte. Er kannte ihn. Der Flaschensammler war mal ein Dichter gewesen. „Früher liebte die Stadt ihre Künstler“, sagte der Flaschensammler, „da wurden wir umarmt, wenn man uns gesehen hat. Frauen gaben uns einen Kuß und ihre Männer wollten sein wie wir.“ Der alte Mann konnte sich noch an Zeiten erinnern, wo die Buchhandlung Linnemann die Bücher der heimischen Künstler besonders präsentierte und die Veröffentlichung mit einer Lesung feierte. „Früher wurden wir in Restaurants eingeladen und die Köche waren glücklich wenn wir kamen“, sagte der Flaschensammler und streichelte den Hund des alten Mannes. Der alte Mann nickte. Er wußte noch wie stolz die Paderborner auf ihre Künstler waren, sich für ihre Gedichte bedankten und ihnen Geld in die Hand drückten. „Ich singe, wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet; das Lied, das aus der Kehle dringt, ist Lohn, der reichlich lohnet...“, sagte der Flaschensammler. Der alte Mann hatte ihn zu einem Wein bei Salva eingeladen und so saßen sie da und prosteten sich zu. „So habe ich immer geantwortet, wenn man mir Geld geben wollte“, sagte der Flaschensammler. Er hatte recht, es ist demütigend, wenn man einem Künstler Geld anbietet. Man verneigt sich vor ihm oder kauft sein Buch, aber Geld braucht er nicht. Es ist wichtig, daß das Leben einer Stadt von Künstlern begleitet wird, die allen mit ihren Bildern und Gedichten Trost spenden und Mut machen. „Ich hatte damals einen Nachbarn, der meinen Rasen mähte, damit ich in Ruhe meine Gedichte schreiben konnte“, sagte der Flaschensammler. „Mein Hausbesitzer ließ mich umsonst bei sich wohnen, mein Steuerberater füllte meine Steuererklärung aus und wollte nichts dafür haben. Überall war ich willkommen, wenn ich Hunger hatte und keinen Platz zum wohnen hatte.“  Nun waren die Dichter alt geworden und die Malerinnen malten keine Bilder mehr. Der Flaschensammler kannte seinen Goethe, und eh sie Wein tranken, sagte er: „Er setzt' ihn an, er trank ihn aus: O Trank voll süßer Labe! O wohl dem hochbeglückten Haus, wo das ist kleine Gabe! Ergehts euch wohl, so denkt an mich, und danket Gott so warm, als ich für diesen Trunk euch danke.“ Der alte Mann umarmte den Flaschensammler und nahm sich vor am nächsten Tag seinen Rasen zu mähen. 


© Erwin Grosche
 
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