„La Bayadère“ von Leon Minkus

zum Ende der Ära Xi Peng Wang in Dortmund

von Johannes Vesper

Corps de Ballet - Foto © Leszek Januszewski

„La Bayadère“ in Dortmund
zum Ende der Ära Xi Peng Wang
 
Von Johannes Vesper
 
Nach 20. Jahren endet die mit rund 50 Produktionen höchst erfolgreiche und weit über Dortmund hinaus strahlende Tätigkeit des Ballettintendanten Xi Peng Wang mit einem Höhepunkt, seinem Ballett „La Bayadère“ nach der Musik von Leon Minkus. Die farbenprächtige Magie einer sagenumwobenen, hoch emotionalen Geschichte aus fernen Welten zu gestalten und durch Tanz zum Leben zu erwecken, damit den Alltag vergessen zu lassen, sei ihm bis zuletzt eine große Freude gewesen, schreibt er im Programm an sein Publikum, welches die Aufführung am 7.11.24 das große Dortmunder Opernhaus am Platz der Alten Synagoge bis auf den letzten Platz gefüllt hat.


Anna Tsygankova,Giorgi Potskhishvili - Foto © Leszek Januszewski

Was ist da zu sehen und zu erleben? La Bayadère wurde gelegentlich als „heiliges Ballett“ bezeichnet und gleichzeitig mit dem zunächst weniger beachteten „Schwanensee“ 1877 in St. Petersburg uraufgeführt. Die Choreographie stammte damals von Marius Petipa und Sergei Khudekov. Es geht um Liebe, Eifersucht und Verrat der schönen Tempeltänzerin Nikjia im alten Indien, die verliebt ist in den edlen Krieger Solor, der aber die Tochter des Fürsten heiraten soll. Der Hohepriester, auch nicht frei von Emotionen und Intrige, liebt seinerseits Nikjia, weckt Eifersüchte und Verzweiflung. Nikjia entdeckt seine Hinterlist, trinkt ihr zugedachtes Gift und stirbt. Im 3. Akt raucht Solon zeitgemäß mindestens Cannabis aus einer wunderbaren Pfeife und verwischt unter dem Einfluß von Rauschgift und Alkohol die Grenze zwischen Realität, Fiktion und Halluzination. Im Schattenreich seiner Träume kann er sich mit der Geliebten immerhin vereinigen. Hier kommen Hollywood und die Filmproduktion der 20er Jahre ins Spiel.
 

Ensemble - Foto © Leszek Januszewski

Xi Peng Wang läßt das Ballett in dieser Zeit verfilmen. Schon damals waren Alkohol und Drogen weit verbreitet. 1897 wurde übrigens eine Ballettszene erstmalig im Film dargestellt. Produzent, Regisseur, Schauspielerinnen und Schauspieler spielen auf der riesigen Bühne in Dortmund Szenen der Filmproduktion, dahinter erscheinen Stummfilme aus der Zeit, teils originale, teils eigens vom Ballett selbst gedrehte Szenen. Die Handlung wird kompliziert, wenn sich die Handlungsebenen mischen. Die Liebe überfällt in Wangs Ballett die neuzeitlichen Darsteller und Darstellerinnen, auch Produzenten und Regisseur. Kaum schwört sich das sagenhafte Liebespaar im Filmdreh ewige Liebe, und merken die Tanzenden wie verliebt sie schon sind. Aus der ganzen Story wird so eine getanzte Oper mit opulenter Filmkulisse. Da schwinden die Kategorien zwischen Handlungsballett und Tanztheater. Anna Tsygankova und Giorgi Potskhishvilli als Gäste von Het Nationale Ballet (Amsterdam) tanzten und spielten Nikja und Solor schwebend, die eleganten wie kraftvollen einfachen und doppelten Spagatsprünge mit und ohne Drehung, Pirouetten in alle Richtungen in wunderbar langsamen Bewegungen. Ob solch virtuoser wie empfindsamer Körpersprache staunte das in den Bann geschlagene Publikum offenen Mundes. Das gesamte Ensemble zeigte Spitzenleistungen. Herrlich, wie die 24 Tänzerinnen in dunkler Traumnacht als „Ballet Blanc“ bei Nebel und Harfenklängen langsam und grazil in weißen Tutus vom Gebirge herabsteigen, bevor sie dann mit zitternder Muskulatur gekreuzter oder auch fliegender Beine und zahllosen, makellos synchronen Arabesken die Bühne füllen, in kleinsten Schritten und Spitzentanz die Bühne kreuzen, wobei die Sechzehntel der schluchzenden Sologeige der „Tippelfrequenz“ entsprechen. Kostbar! In gleicher Exaktheit und Synchronisation kommen auch in Gruppendrehungen die Herren als Krieger mit Machete und als Bühnenarbeiter beim Filmdreh über die Rampe.
 

Guillem Rojo i Gallego, Daria Suzi - Foto © Leszek Januszewski

Der ganze Abend ist ein ästhetischer wie emotionaler Hochgenuß, und doch endet das Drama in der Katastrophe. Bei der Feier der Filmleute zum Abschluß der Dreharbeiten schlagen die emotionalen Wellen sehr hoch. Der empörte Studiomanager zündet das Filmstudio an. Chaos bricht aus, alles läuft durcheinander. Kulissen und das ganze Studio brennen am Ende wie die Welt in der „Götterdämmerung“. Aber Liebe ist stärker als Chaos. Am Ende finden sie sich jenseits aller Realität doch.
Das Bühnenbild von Jerome Kaplan greift im Sinne von „Upcycling“ zurück auf die Produktion der Berliner Staatsoper 2018 zurück, für die er schon das Bühnenbild besorgt hatte. Große Elefanten zieren nicht nur die hohen Wände des indischen Palastes nein, das goldene Idol kommt, reitend auf einem Steiff-Elefanten in Originalgröße, auf die Bühne gerollt. Das Blanche Ballet tanzt vor hohem Gebirge, und beim Chaos am Ende blitzt es von der Bühne und Theaternebel wird aus Feuerlöschern gesprüht. Auch mit aufwendigen Kostümen wird geklotzt.
 
Die gefällige Musik des damals sehr berühmten Leon Minkus (1826-1917), der in Wien geboren, ab 1852 in Rußland wirkte, besteht aus Polka, Adagio und Walzer, spiegelt Emotionen. Gelegentlich immerhin im unruhigen 5/4 Takt, gilt sie musikalisch als sein Hauptwerk, hat es als reine Orchestermusik in die Konzertsäle nicht geschafft. Unter der souveränen Stabführung von Motonori Kobayashi wirkt sie hier aber doch lebendig und mitreißend. Wunderbar, wie exakt am Ende der Tanznummern Schlußakkord und tänzerische Schlußposition zusammenfallen. Vergnüglich kommentiert das Solo-Klavier mit Ragtimes verschiedene Drehszenen. Das Ballett blieb auch nach der Oktoberrevolution in Rußland populär, wurde mehrfach umgearbeitet und neu inszeniert. Im Westen wurde es erstmalig 1961 in Rio de Janeiro, als Ganzes 1980 in New York aufgeführt dann in London und 1992 in Paris (Rudolf Nurejew) aufgeführt.
Riesenapplaus und stehende Ovationen für Solisten, Ensemble und die Musik - ein großer Ballettabend.  
 
Es gibt derzeit noch zwei weitere Termine: Sonntag 17.11.24 16.00 Uhr, Sonntag 24.11.24 18:00 Uhr

Weitere Informationen und Besetzung: www.theaterdo.de