Fauré-Schumann-Chopin

Lang Lang Klavierabend in der Historischen Stadthalle Wuppertal

von Johannes Vesper

Lang Lang im Gespräch mit Intendantin Katrin Zagrosek - Foto © Johannes Vesper


Fauré-Schumann-Chopin
 
Lang Lang Klavierabend beim Klavierfestival Ruhr
in der Historischen Stadthalle zu Wuppertal
 
Von Johannes Vesper
 
Als höfischer Tanz spielte die Pavane schon seit dem 18. Jahrhundert keine Rolle mehr, als Klavierstück eigentlich nie. Von Gabriel Fauré (1845-1924) selbst für Klavier-Solo bearbeitet, eröffnete Lang Lang mit ihr seinen Klavierabend. Die einfache, endlose Melodie mit immer wieder fallender Terz am Phrasenende über durchlaufendem Baß erinnert an die Ziellosigkeit mancher heutigen Popmusik, vermochte aber als 6-minütiger Ohrenöffner immerhin die Konzentration im Saal zu befördern.
 
Der „heißeste Künstler klassischer Musik auf dem Planeten (New York Times) muß hier nicht weiter vorgestellt werden. In den folgenden zwei Wochen spielt er in Taschkent (Usbekistan), Abu Dhabi, zweimal in Taipei City und Seoul, im neuen Jahr u.a. in der Carnegie Hall und in Boston. Jetzt aber zurück nach Wuppertal, wo er im Rahmen des Klavierfestivals auf eigenen Wunsch hin aufgetreten ist. Seit 2003 war er auf dem Festival immer wieder zu hören, in Wuppertal zuletzt im März 2020 mit den Goldberg- Variationen. Da hatte er Franz Xaver Ohnesorg zum Geburtstag gratuliert, der hoffte, mit Bach und Klaviermusik die bedrohliche Corona-Pandemie in Schach halten zu können.
 
Diesmal ging es um Kreisleriana von Robert Schumann (1810-1856), deren acht Stücke er seiner Clara ans Herz gelegt hat: „Eine
recht ordentlich wilde Liebe liegt darin in einigen Sätzen, und Dein Leben und meines und manche Deiner Blicke“. In diesen Stücken scheint sich die zerrissene Seele des 28-jährigen Robert musikalisch auszudrücken. Schon die Satzüberschriften lassen die emotionale Erregung erkennen, die sich zwischen immerhin parallelen Tonarten g-Moll und B-Dur abspielt. Das Paar in seiner Liebe hatte in dieser Zeit unter dem starren zukünftigen Schwiegervater bzw. ehemaligen Klavierlehrer zu leiden. Wie dem auch war, Schumann wurde von E.T.A. Hoffmanns literarischer Figur des Kapellmeisters Johannes Kreisler zu diesen Klavierfantasien angeregt. „Äußerst bewegt“ jagte der 1. Satz los, sprühte vor musikalischen Einfällen fast improvisatorischen Charakters. Nachdenklich erklang der ruhigere Mittelteil und im ganz anderen Licht der sehr innige und nicht zu rasche 2. Satz. Wegen einer Tendovaginitis stenosans des 4. Fingers der rechten Hand hat Robert seine musikalischen Eruptionen selbst nicht spielen können. Seiner musikalischen Stimmungslabilität hatte er textlich mit den Fantasiefiguren Florestan und Eusebius nachgespürt, musikalisch scheinen sie sich in auch in Kreisleriana zu streiten, während Robert selbst mit Bier und Wein, Champagner und starken Zigarren immer versucht hat seine niederdrückende Melancholie zu ertragen. Synkopisch frisch, „sehr aufgeregt“, mit häufig gegenläufiger Stimmführung beeindruckt das Klavierspiel des Ausnahmepianisten durch hohe dynamische Amplitude und eine bemerkenswerte Präsenz des Flügelklangs in tieferen Lagen. Über Orgelpunkten schien sich Robert Schumann die Töne gelegentlich fast zusammengesucht zu haben, bevor sie sich im Nichts verlieren. Stürmisch lebhaftem Ritt folgten Episoden größter Nachdenklichkeit und man fragt sich, was diese Stücke untereinander verbindet. Handelt es sich um meditative Selbstgespräche des Komponisten und im Konzert um seinen Dialog mit dem Pianisten? Ohne jede Allüre gelang dem Pianisten eine innere, atmende
Agogik, bei der jede metronomische Starrheit nur stören würde. Wenn musikalisch wie in einem Sommernachtstraum schwirrende Insekten über Waldseen zu hören sind, rasende Fugati mit langsamen choralähnlichen Abschnitten wechseln, rezitativisch musikalische Gedanken vorgetragen werden, hier der Komponist und nicht der Dichter spricht, dann ist Lang Lang mit stupender Technik und Musikalität in seinem Element und der Saal lauscht gebannt, durch nur einzelne Hustenanfälle wenig gestört. Großer Applaus vor der Pause.
 
Dann 12 Mazurken von Frederic Chopin (op.. 7, 3, op. 17 Nr.1, 2, 4, op. 24,2, op. 30, 3, 4, op. 33, 3, 4, 2, op. 59, 3). Mazurken, anderswo als Flohbeutler (Österreich, Flohschüttler, Baasschlenker, Mistträppeler (Schweiz)bekannt, entstanden in der Region um Warschau. Mazurken hat Frederic Chopin 1810-1849), wie Schumann 1810 geboren, sein Leben lang geschrieben, die erste mit 10 Jahren bis hin zu op.. 68,4 seiner letzten Komposition überhaupt. Dieser Volkstanz symbolisiert als musikalische Gattung vielleicht den polnischen Nationalismus, der 1830 zum Aufstand gegen Rußland geführt hat, infolgedessen der 20jährige Frederic aus Polen ausgewandert und nach Paris gezogen ist.
 
Gleich bei Op..7 Nr. 3, die aus aus der Zeit seiner Übersiedlung nach Paris stammt, wurde deutlich, daß es sich nicht um Salonmusik handelt, sondern um ursprüngliche ländlich bäurische Musik, die von Melodie und wie der Wiener Walzer vom ¾ Takt lebt, sich aber durch eine andere Betonung der Taktzeiten von ihm durchaus unterscheidet. Jede Mazurka bot unter diesen Pianisten-Händen einen Blick in die Seele und ihre wechselnden Zustände und es leuchtete unmittelbar ein, daß die kleine Form, der musikalische Moment sozusagen, oder das Lied Urformen der Romantik darstellen. Technisch natürlich souverän, musikalisch von höchster Sensibilität, bot Lang Lang diese romantische Juwelen in einer Qualität, wie man sie selten so hört. Kurze aufsteigend perlende Arpeggien, gesangliche Mittelstimmen, fremde Harmonien entwickelten sich in freien Tempi. In dieser atemberaubenden Dichte und anspruchsvollsten melancholisch-musikalischen Eleganz schwindet die Banalität des Alltags weit ins Weite. Bei der Polonaise fis- Moll op. 44 tobte sich der Virtuose dann vollgriffig aus, ließ den Flügel in den ruhigeren Abschnitten singen. Zuletzt brauste die Musik erneut los, bevor ihm die Herzen seines Publikums in grandiosem Applaus dem Virtuosen zuflogen. Blumen, stehende Ovationen, Zugaben! Ein großer Klavierabend in Wuppertal. Nach kurzem Gespräch mit dem Rezensenten über Florestan und Eusebius posierte der freundliche und zugewandte Künstler ihm für einen Schnappschuß.


Lang Lang - Foto © Johannes Vesper