In der musikalischen Tradition des 20. Jahrhunderts
Beethoven – Hesse – Mahler
Zu Beginn Ludwig van Beethovens (1770-1827) Koriolan-Ouvertüre: Mit lauter Verve begann ziemlich grob geschnitzt dieser Konzertabend. Dramatische Orchesterschläge, Generalpausen, charakterisieren den rachsüchtigen römischen Feldherrn, der nach Generalpause unter schönen Fagottpassagen und heiklen Passagen der höheren Streicher Aggressionen und Selbstsicherheit verliert. Weitere Orchesterschläge, jetzt mit Nachklappen helfen ihm nicht richtig. Die Stimmung färbt sich zunehmend lyrisch depressiv ein. Die Celli verlieren den markanten Rhythmus, zwei einsame, aber klangvolle Pizzicati markieren den Suizid des Feldherrn am Ende und die Zuhörer hofften auf zunehmende dirigentische Inspiration im Laufe des Abends.
Als Hauptwerk vor der Pause gab es als bisher einzige Uraufführung in der Ära des GMDs Patrick Hahn „Pas de deux“, das Konzert für Flöte, Harfe und Orchester“ von Lutz-Werner Hesse. Er hat sein Op. 91 auf Anregung der Instrumentalistinnen Catarina Laske-Trier (Soloflöte), Manuela Randlinger (Harfe) komponiert. Die beiden, die seit Jahren miteinander musizieren, wollten immer schon auch zeitgenössische Musik aufführen. Für diese seltene Besetzung gab es seit dem Mozartschen Konzert KV 299 von 1778 bis jetzt nur ein Konzert von Siegfried Matthus (1934-2021). Das Konzert von Hesse weist eine Instrumentation auf wie Beethovens 8. Sinfonie, wobei reiches Schlagwerk und die Bläser das Klangspektrum durch Nebeninstrumente erweitern (Flöte z.B. durch Piccolo und Altblockflöte). Lutz-Werner Hesse hat als zeitgenössischer Komponist eine bedeutende Resonanz (Rundfunkaufnahmen, umfangreiche Diskographie). Er hat als „composer in résidence“ vor Jahren schon in Bremerhafen und Oldenburg gewirkt und wurde jetzt mit dem von der Heydt-Preis Wuppertals geehrt. Während sich der 22jährige Mozart beim Pariser Publikum damals musikalisch wie „unter lauter vieher und bestien …“ wähnte, ist Lutz Werner Hesse in Wuppertal überaus geschätzt, etlicher seiner Werke wurde in der Historischen Stadthalle sehr erfolgreich uraufgeführt. So auch dieses.
Hesse kommt beim Komponieren nicht von der Improvisation her, ist kein Zwölftöner, kein Advangardist im engeren Sinne, nein er sieht sich, wie er mir Gespräch berichtete, vielleicht am ehesten im Gefolge einer „Neuen Einfachheit“ wie Rihm und Trojahn, schreibt keine moderne Kakophonie, erzeugt keine Geräuschwelt, sondern Musik, die das Publikum gerne hört. „Seine Musik steht in ihren Mitteln, also in Orchesterklang, Klangfarben und Rhythmen, trotz komplizierter tonaler Harmonik bewußt in der musikalischen Tradition des 20. Jahrhunderts“, hieß es.
Nach meditativen Harfenklängen zu tiefem Schlagzeug im ersten Satz des Doppelkonzertes erinnert die silbrig schwebende Soloflöte fast an Debussy-Melodien. Unter schnell aufwärtsstürmenden Oboen ändert sich der Charakter. Lyrisch umspielen sich Flöte und Solovioline. Nach wechselnden Klangflächen endet der erste Satz mit einem FF-Schlag. Im Lento misterioso des 2. Satzes mischt sich klingendes Schlagwerk zu den eher stehenden Klängen. Mit beseelendem Ton rauscht die Soloflöte auf und nieder zu sich hoch auftürmenden Harfenarpeggien unter fast festlich aufspielenden Bläsern. Der 3. Satz wird dominiert von immer wieder musikantisch flott geschlagenem und synkopisch belebtem Holzschlagwerk. Der Komponist sprach von einer Apotheose des Tanzes. Wunderbar mischten sich Solobratsche und Soloflöte im eingeschobenen Adagio. Nach der Stretta mit der großen Trommel zum glänzendern Schluß gab es großen Applaus für Catarina Laske-Trier, Manuela Randlinger, Lutz-Werner Hesse, Patrick Hahn und das Orchester. Mit dem wunderbaren Siziliano aus der Flötensonate g-Moll BWV 1020 als Zugabe wurde das begeisterte Publikum in die Pause entlassen
Dann begann um 21:35 Uhr das Hauptwerk des Konzertabends: Mahlers riesige 5 Sinfonie. Mit großem, starkem Ausdruck eröffnete die Solotrompete (Cyrill Sandoz) wieder makellos den unendlich bewegenden „Leichenzug“ des 1. Satzes, in welchem sich das rhythmisch hämmernde, an Beethovens 5. erinnernde Motiv unüberhörbar schicksalsschwer in das Bewußtsein schiebt. Nach ungeheurer dissonanter Klimax breitet sich stürmisch bewegt (heute eher rasend schnell) und vehement das höllische, nur phasenweise angedeutet choralartig strukturierte Chaos des 2. Satzes aus, gegen das auch das sonore Thema der Celli nicht ankam. Alles endete im bewegendem Pianissimo. Nach solch emotionalen Ausbrüchen mußte erstmal die Harfe nachgestimmt werden. Der Ländler des 3. Satzes, mit wienerisch angedeutetem Glissando bot als Scherzo geordnetere Verhältnisse. Bei Fugato, Hornrufen, Generalpause, Pizzi im Dreier und ausgeprägter Agogik zeigte Patrick Hahn stets dirigentische Übersicht, Souveränität wie exakte Einsätze, entsprechend der komplexen Partitur. Daß Alma Mahler sich von der Liebeserklärung des sehr emotional gefärbten Adagiettos wunderbarer Streicher mit Harfe in bewegendem, atmendem Pianissimo beeindrucken ließ, konnte das Publikum hier sofort nachvollziehen. Im Rondo des Finalsatzes mündete schließlich der Choral des 2. Satzes in eine furiose Stretta und einen überwältigenden Schluß (inzwischen 22:35 Uhr). Das Publikum tobte. Bravi, Pfiffe, stehende Ovationen.
Die glanzvolle Aufführung fügte sich in die Reihe der Aufführungen dieser Sinfonie durch dieses Orchester glanzvoll ein: Kamioka CD 2010 (Denon), Jun Märkl 24.07.2017.
3. Sinfoniekonzert in der 162. Saison am Montag, dem 19.11.2024, 20:00 Uhr Großer Saal in der Historischen Stadthalle Auf dem Johannisberg. Besetzung: Catarina Laske Trier, Querflöte, Manuela Randlinger, Harfe. Sinfonieorchester Wuppertal, Patrick Hahn Dirigent,
Programm: Ludwig van Beethoven (1770-1827): Ouvertüre zu Coriolan c-moll op.62, Lutz-Werner Hesse (geb. 1955) ›Pas de deux …‹ Konzert für Flöte, Harfe und Orchester op. 91 (UA), Gustav Mahler (1860-1911) 5. Sinfonie.
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