Die unterschätzten und mißachteten Tonsetzerinnen

Aliette de Laleu – „Komponistinnen“

von Sabine Kaufmann

Die unterschätzten und 
mißachteten Tonsetzerinnen
 
Reclams Klassikerinnen –
Die wichtigsten Komponistinnen von der Antike bis heute
 
Über das Warum müssen wir keine Diskussion beginnen. Das ist auf verschiedenen Sektoren der Kunst (Malerinnen, Bildhauerinnen), der Literatur, der Politik, der Gesellschaft und der Wissenschaft schon längst Thema. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurde Frauen überall nur der zweite oder gar kein Platz eingeräumt, noch häufiger ihnen gar verboten zu forschen, zu publizieren oder aufzutreten. Ich muß im Zusammenhang stets daran denken, daß meine Mutter 1957 noch die Zustimmung meines Vaters benötigte, um den Führerschein zu machen.
Es gilt hier ganz einfach großartigen Frauen, in diesem Fall der Musikgeschichte, den ihnen gebührenden Platz einzuräumen.
Aliette de Laleu, französische Musikwissenschaftlerin, Journalistin und Publizistin  hat untersucht, wo und wann im Lauf der Geschichte Komponistinnen, Musikerinnen, Sängerinnen, Librettistinnen, Studentinnen der Musik ihres Werks bestohlen oder von vornherein abgelehnt wurden (denken wir an Anna Magdalena Bach, Fanny Mendelssohn, Clara Schumann, Maria Anna Mozart), sie herabgesetzt, aus von Männern dominierten Gremien ausgeschlossen, als gefährlich Rivalinnen unterdrückt (Alma Schindler z.B. von ihrem späteren Gatten Gustav Mahler) oder von der Kritik geschmäht wurden.
Sie stellt aber auch solche Frauen vor, die sich gegen die Vorherrschaft der Männer aufgelehnt und Karriere gemacht haben, wenn das auch nur wenige waren und vergleicht das unterdrückende Gestern mit dem liberalen Heute, zumal in der klassischen Musik, denn um die geht es hier. Bewegend u.a. die historisch verbriefte Szene, in der die adlige Komponistin, Pianistin und Musiklehrerin Hélène de Montgeroult 1789 vor den Wohlfahrtsausschuß der Französischen Revolution (natürlich alles Männer) treten muß, um ihr Urteil „Guillotine“ zu hören und nur überlebt, weil sie auf einem eilig herbeigeschafften Klavier eine brillante Interpretation der Marseillaise spielt.
Von Sappho, Hildegard von Bingen, Francesca Caccini, Julie Candelle und Hélène de Montgeroult über Louise Farrenc, Mel Bonis und Fanny Mendelssohn bis Nadia Boulanger, Florence Price, Ethel Smyth und Charlotte Sohy zieht sich in dem schmalen Band (naturgemäß etwas Frankreich-lastig) der Faden der weiblichen Musik.
 
Aus dem Buch sei hier abschließend zitiert: „Wir haben in diesem Buch immer wieder gesehen, wie das Patriarchat und die grimmige Misogynie bestimmter Epochen dazu beigetragen haben, die Bedeutung der Frauen in der Musik herabzusetzen (…), ihnen den Zugang zur Öffentlichkeit zu versperren (Fanny Hensel veröffentlichte unter dem Namen ihres Bruders), ihre Werke nicht anzuerkennen (die Oper von Mademoiselle Le Sénéchal de Kercado wurde verrissen, sobald der Name der Komponistin ans Licht kam) oder auch ihre Leistungen herabzuwürdigen (die Instrumentalistinnen mußten hart um einen Platz in den Orchestern kämpfen). Die expliziten Verbote sind unterschiedlich begründet und reichen vom religiösen Einwand gegen den Gesang bis hin zu moralischen oder medizinischen Vorbehalten gegenüber bestimmten Instrumenten. Aber es ist vor allem, oft nur unterschwellig, eine durchweg männliche Welt, die es ablehnt, ihren Platz mit Musikerinnen und Komponistinnen zu teilen. Die Entwicklung der Statuten des Konservatoriums von Paris illustriert dies: Zwar öffnet die Institution bei ihrer Gründung im Jahr 1795 Studentinnen ihre Pforte, aber zu bestimmten Klassen haben diese keinen Zugang, und schon sehr bald werden Quoten eingeführt, damit Frauen dort nicht zu zahlreich werden. Sie dürfen in den Orgelklassen nicht mehr als ein Viertel der Schüler stellen, und als vonseiten der weiblichen Öffentlichkeit die Nachfrage nach Klavierklassen explodiert, entscheidet die Institution, daß in keiner der beiden Klassen, der der Männer und der der Frauen, mehr als 15 Personen sein dürfen. Nur steigt in den folgenden Jahren die Zahl der Kandidatinnen kontinuierlich weiter an. In der Mitte des Jahrhunderts gibt die Institution nach und eröffnet vier Klassen für die Mädchen und zwei für die Jungen. 1889 konkurrieren 238 Mädchen mit 49 Jungen um die Zulassung zu den Klassen.“
 
Nach jedem Kapitel findet sich ein Kasten mit Anregungen zu Hörbeispielen. Die Anmerkungen von Petra Willim, die Quellenangaben und ein umfangreiches Literaturverzeichnis geben wertvolle Hinweise zum erweiterten Selbststudium. Was dem Buch allerdings schmerzlich fehlt sind ein Namensindex und ein Stichwortverzeichnis.
 
Aliette de Laleu – „Komponistinnen“
Frauen, Töne & Meisterwerke
Übersetzung aus dem Französischen von Petra Willim
© 2024 Philipp Reclam Jun. 173 Seiten, Gebunden - ISBN-13: 9783150114704
24,- €
 
Weitere Informationen: www.reclam.de