Laudatio zur Verleihung des
Von der Heydt-Förderpreises
an Hank Zerbolesch
Die Zunft der Dichter dieser Stadt darf sich freuen: der Von der Heydt-Förderpreis geht in diesem Jahr wieder einmal an die Literatur. Man muß lange zurückgehen in der Liste der Förderpreisträger, um dort auf einen Schriftsteller zu stoßen. Wenn ich nichts übersehen habe, war es 1981 das letzte Mal. Vor über vierzig Jahren also.
Und es ist ja immer wieder und immer noch die Geschichte, die die originellsten Scherze auf Lager hat. Just in diesem Jahr 1981, sozusagen punktgenau, ist der heutige Förderpreisträger in diese Welt hineingeplatzt - das lange Warten ist also wenigstens mit dieser Pointe belohnt worden:
Der diesjährige Von der Heydt-Förderpreisträger ist wieder ein Schriftsteller, und er heißt Hank Zerbolesch.
1981, wie wir jetzt alle wissen, in Düsseldorf geboren und dort groß geworden, hat Zerbolesch sich vor gut zwanzig Jahren für Wuppertal als Wohn- und Arbeitsort entschieden. Längst ist er zu einem festen Bestandteil der hiesigen Literaturszene geworden, vor allem der aus der Poetry Slam-Bewegung erwachsenen.
Seit 2014 liegen vier Prosatitel von ihm vor, ein Erzählband und drei Romane. Auch wenn er einen Roman davon, RAW, von 2018, einen “Antitroman” nennt. In diesem Frühjahr nun, 2024, ist im Göttinger Steidl-Verlag sein letzter Roman erschienen, GORBACH. Worum es darin geht?
Zwei Männer am Tresen, in einer Vorortkneipe, trinken ihr Bier, Glas um Glas, schwadronieren, schweigen. Die Wirtin Julia, emigrierte Russin, „verschwindet kopfüber in ihrem Smartphone”, sobald sie gezapft hat. Eine jüngere Frau kommt ins Lokal, bestellt ein Bier – und fängt an zu schluchzen. Nach einem zähen wortkargen Abtasten kommt man miteinander ins Gespräch. Die Frau erzählt ihre Geschichte …
So fängt Hank Zerbolesch seinen neuen Roman GORBACH an. Und ähnlich fangen auch die anderen Episoden an, an denen die Handlung dieses Romans aufgefädelt ist. GORBACH hört sich nach einem Ortsnamen an, und das ist richtig geraten. Es ist allerdings eher ein Milieu als eine Stadt. Das Milieu der Gescheiterten, Ausgeschiedenen, der Hoffnungslosen - unsere heutige Gesellschaft in ihren mundtoten Randzonen.
Doch damit kein Irrtum entsteht: GORBACH ist kein Panoptikum von abseitigen Drogenabhängigen und Verlierern. Dieser Roman konfrontiert uns mit den menschlichen Abgründen – unseren eigenen. Und deshalb ist es keine einfache Lektüre, die hier geboten wird. Es ist ein knallhartes Buch. Aber der Lesende spürt in jeder Zeile: Hier wird niemand ausgestellt oder vorgeführt, des Effektes wegen. Hier lebt und leidet jemand mit seinem Erzählpersonal, bis an die Grenzen des Sagbaren (manchmal auch darüber hinaus).
Zerbolesch eignet ein brutal ehrlicher Zugfriff auf die Wirklichkeit dieses Landes, ganz und gar ungeschönt. Dieser Autor schont sich so wenig wie seine Leserschaft. Viele der in der Gesellschaft gängigen Süchte kommen zum Einsatz: wenn jemand sich überfordert fühlt, oder in der hellen Angst und Panik, wenn alles verspielt ist und nichts mehr zu helfen scheint als diese oder jene Droge - Drogen aller Art, bis zum Exzess, Rausch bis in den Tod. Auch den Suchtdruck pausenloser Benutzung des Mobiltelefons übrigens läßt der Autor nicht aus. Wer von uns hier heute Morgen darf sich von dieser Sucht ganz frei fühlen?
Ein Wort noch zu dem Ort Gorbach, in dem Zerbolschs aktueller Roman spielt. In einer Vorbemerkung ist der Autor so kühn (oder unvorsichtig), das Modell für sein Gorbach zu verraten. Es ist Garath, der südliche Stadtteil von Düsseldorf, eine Satellitenstadt, die in den 1960er Jahren mit 8000 Wohnungen für 30.000 Einwohner hochgezogen worden ist. Dort ist Zerbolesch aufgewachsen, und die Erfahrungen, die er in Garath als junger Mensch gemacht hat, sitzen fest in ihm und sind ein Reservoir, aus dem der Autor schon mehrmals, auch wieder in seinem neuen Buch, schöpft.
In dieser Feierstunde des diesjährigen Von der Heydt-Preises sollte nicht verschwiegen sein, daß bereits ein anderer Romancier aus Wuppertal sich dieses Düsseldorfer Stadtteils Garath angenommen hat, ein Autor zumal, der 1975 den Hauptpreis gewonnen hat. Dreißig Jahre danach, 2005, veröffentlichte Karl Otto Mühl den Roman HUNGRIGE KÖNIGE, den ich für seinen besten halte. Sein Held, der Werkschutzmann Franz Zajonski, lebt und wirkt in eben dieser Satellitenstadt Garath. „Etwas Einschüchtendes ging von ihm aus, etwas Zudringliches, Brutales …“, beschreibt ihn Mühl. Dieser Arbeiter und Möchtegern-Dichter Zajonski ist ein rührender Mensch, und er ist ein veritabler Kotzbrocken. Damit paßte er bestens nach Gorbach. Und ins echte Leben sowieso ….
Für dich, lieber Hank, ist das bestimmt keine schlechte Gesellschaft, in die du da hineingeraten bist, ob du es wolltest oder nicht. Heute bekommst du für deine bisherige literarische Arbeit den Kulturförderpreis deiner Wohn- und Arbeitsstadt Wuppertal. Den Förderpreis deshalb, weil die besten Jahre noch vor dir liegen. Er soll dir Auftrieb geben dranzubleiben und nie den Überlebensmut zu verlieren in dieser Schlangengrube Kulturbetrieb. Kunst will etwas anderes. Kunst ist etwas anderes. Wir alle hier wünschen dir, daß du weiter der harten, fordernden Leidenschaft deines Lebens treu bleibst – dem Schreiben.
Wuppertal, 23.November 2024
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