Kunst und Verbrechen

Andreas Beyer – „Cellini, ein Leben im Furor“

von Johannes Vesper

Kunst und Verbrechen
 
Benvenuto Cellini: Schweinehund, Genie
oder nur bestia asinia, eine eselige Bestie?
 
Kunstwerke von Mördern können in den USA im Online-Shop erworben werden. Horst Bredekamp, Berliner Kunsthistoriker und Autor der großen Michelangelo- Biografie, schrieb jüngst erst ein Buch mit dem Titel „Der Künstler als Verbrecher“. Und Benvenuto Cellini (1500-1571) war kein zwar kein Serienkiller, aber ein berühmter Bildhauer, der drei Morde zugegeben hat. Sein muskulöser „Perseus“ mit Schwert in dem rechten und abgeschlagenen Medusenhaupt in der hoch erhobenen linken Hand steht seit 1554 in der Loggia dei Lanzi Florenz und gehört für Touristen auch heute noch zum Pflichtprogramm eines Florenzbesuchs, was ihm bei rund 7 Millionen Besuchern im Jahr eine gewisse Popularität verschafft.
 
In der wissenschaftlichen Welt der Kunstgeschichte wurde Cellini erst berühmt, nachdem 1728 seine Autobiographie („Vita di Benvenuto Cellini“) posthum erschienen war. Denn er hat sein Leben aufgeschrieben, während er bildhauerte, jeder Satz ein Meißelschlag sozusagen. Er war ein Virtuose des Wortes, hat zahlreiche Sonette geschrieben, wurde als Literat in die Academia Fiorentina aufgenommen, eine 1540 gegründete Gesellschaft von Dichtern und Schriftstellern, und erregte zunächst als ausgebildeter Goldschmied Aufmerksamkeit durch seine Münzentwürfe. Geboren am 03. November, im Zeichen des „diabolischen Skorpions“, hat er dessen Charakter gleich übernommen. Mit 16 Jahren wurde er wegen einer Schlägerei zum ersten Mal verurteilt und mußte Florenz verlassen. Als rastloser Hansdampf in vielen Gassen, hat auch als Musiker reüssiert, spielte zeitweise als piffero, die Flöte im städtischen Orchester. Cellini hat seine Modelle, egal ob weiblich oder männlich, unbefangen und skrupellos sexuell benutzt. „…ein anmutiges und schönes junges Mädchen als Magd angestellt. Ich bediente mich ihrer als Modell, aber sie befriedigte auch meine Jugendliche Fleischeslust und ich freute mich sehr oft an ihr“ liest man in seiner Vita, die heute als authentisch gilt. Wenn er einen schönen Knaben benutzt hat, begründet er das kunsthistorisch, behauptet, ausschließlich die Natur leite „als Lehrbuch“ die Kunst und befand sich damit im
Widerspruch zur damaligen Ansicht, die die Kunst als rein geistige Schöpfung nicht gebärender männlicher Künstler verstand. Tatsächlich signierte er seinen „Perseus“ direkt über dessen muskulärer linken Po-Backe, erinnerte damit künstlerisch über Jahrhunderte an seinen jahrelangen, intensiven wie befriedigenden homosexuellen Verkehr mit dem Modell. Tatsächlich wurde er wegen des „scheußlichen Lasters der Sodomie“ mit einem Jugendlichen zu Gefängnisstrafe verurteilt, aber zuletzt wegen seiner künstlerischen Verdienste begnadigt. Die Untaten Roman Polanskis oder Harvey Weinsteins wären in jenen Zeiten anders beurteilt worden als heute. Massenvergewaltigungen gehörten um 1530 durchaus zum italienischen Alltag, man denke an Angela del Moro, die als Tizians nackte Venus auf dem Sofa noch heute von Touristen angeschaut wird. Wie der eifersüchtige Cellini sein verheiratetes Modell Catherine verprügelt, an den Haaren durchs Zimmer geschleift hat, mit ihr anal wie vaginal verkehrt hat, ist juristisch nicht aufgearbeitet worden, zeigt aber die Machtverhältnisse zwischen Künstler und Modell schon damals. Ins Gefängnis mußte er wieder, weil er bei der Plünderung Roms Gold gestohlen hat (?), glaubte der Richter damals. Andreas Beyer vermittelt, daß alle diese autobiographischen Bezüge authentisch sind, und es keinen Grund gibt, den Wahrheitsgehalt der Vita zu bezweifeln.
 
In der Vita liest man über Teufelsaustreibungen (Cellini als Exorzist), man liest über die Pest und ihre Erscheinung, über die Sehschwäche Cellinis. Seine Vita ergänzt das nicht sehr umfangreiche bildnerische Werk dieses Renaissance Bildhauers bzw. Goldschmiedes. Neben dem Perseus erinnern sein prächtiges Salzfaß, welches durch merkwürdige Umstände heute in Wien zu besichtigen ist, und seine Nymphe von Fontainebleau mit ihrer prächtigen Frisur, in welcher Cellini als Suchbild seinen geliebten Pudel versteckt hat, an diesen verbrecherischen Künstler. Der hat das Leben jedenfalls in alle Richtungen weit über jede Kunstfreiheit hinaus völlig ausgelebt, auch wenn zum Ende seines Lebens Aufträge ausblieben und sechs Kinder zu ernähren waren.


Benvenuto Cellini, La Nymphe de Fontainebleau - Foto © Shonagon
 
Das Buch ist unterhaltsam wie kenntnisreich geschrieben. Die damalige kulturelle Konkurrenz zwischen Rom und Paris wird sehr gut lesbar dargestellt. Der Autor ist immerhin Ordinarius für Kunstgeschichte an der Baseler Universität und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Im Anhang wird die Editionsgeschichte der Vita berichtet. Eine Zeittafel erleichtert die historische Orientierung. 200 Anmerkungen und ein umfangreiches Literaturverzeichnis bieten Interessierten Material zu weiterem Studium. Der Band ergänzt die Reihe „Renaissance“ des Verlages, in welcher vom gleichen Autor schon „Künstler, Leib und Eigensinn“ erschienen ist sowie „Kunst-zur Sprache gebracht“.
 
Andreas Beyer – „Cellini, ein Leben im Furor“
© 2024 Verlag Klaus Wagenbach, 221 Seiten, gebundenes Buch, 59 Abbildungen ISBN 978-3-8031-3746-3
30,-€
 
Weitere Informationen: www.wagenbach.de