„Dem Andenken eines Engels“

Michael Foyle und das Sinfonieorchester Wuppertal im 4. Sinfoniekonzert

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper


„Dem Andenken eines Engels“
 
Michael Foyle und das Sinfonieorchester Wuppertal im 4. Sinfoniekonzert der 162. Saison 
mit dem Violinkonzert von Alban Berg und der 5. Sinfonie von Anton Bruckner
 
Alban Berg hatte sein Violinkonzert dem „Andenken eines Engels“ gewidmet. Der Engel war die 17jährige Manon, Tochter von Alma Mahler-Werfel und Walter Gropius, die wenige Monate vor ihrem Tod in Venedig an Kinderlähmung erkrankte und verstarb. Eine eiserne Lunge stand 1935 in Österreich noch nicht zur Verfügung, obwohl sie erstmalig schon 1928 in den USA an einer achtjährigen Poliopatientin erfolgreich eingesetzt worden ist. Als damals Alban Berg dieses wohl bedeutendste Solokonzert des 20. Jahrhunderts komponierte, wußte er noch nicht, daß diese sein letztes Werk sein sollte, starb er doch nur kurze Zeit nach der Vollendung des Konzertes an den Folgen eines Insektenstichs, der trotz Behandlung monatelang nicht abgeheilt ist und zu einer Sepsis geführt hat. Alban Berg starb in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember 1935. Jetzt aber zur Musik:
 
Mit aufsteigenden Quinten auf den leeren Seiten der Solovioline beginnt das Violinkonzert, mit dem der Komponist seine Erschütterung über den Tod ausgedrückt hat. Bald erinnert ein kurzes Zitat aus dem 2. Satz der 7. Sinfonie an Trauermärsche Beethovens. Im bewegteren Allegretto scheint vielleicht die Heiterkeit und Fröhlichkeit der 17jährigen auf. Ein Dreier Takt ohne Walzerseligkeit läßt Wiener Walzer- Stimmung nicht aufkommen. Im 2. Allegro nach düster drohendem Orchesterschlag scheint die zitternd vibrierende Solovioline von dunklen Blechbläsersforzati gejagt, bevor zu milden Harfen-Einwürfen die Solovioline kadenzartig den kompositorischen Faden weiterspinnt. Endlich stimmt sie den trostreichen teilweise mehrstimmig und mit zusätzlichem Pizzicato der linken Hand die Bach-Choräle „Es ist genug“ und mit „Mein Jesus kommt“ und mit geht das letzte Adagio ruhig zu Ende. Bei aller Zwölfton Atonalität handelt es sich um ergreifende, expressionistische Programmmusik zum tragischen Tod eines lebenslustigen Mädchens, und im Nachhinein um ein Requiem auf den eigenen Tod. Kühl, mit klarem Ton, technisch makellos sauber und durchsichtig mit zurück genommenen Emotionen musizierte Michael Foyle mit dem großen Sinfonieorchester unter dem umsichtigen und sensiblen Dirigat von Patrick Hahn. Nach langer Pause am Schluß brach großer Applaus los, Blumen gab es für den Solisten, der Geiger sich mit dem wunderbaren Largo aus der Sonate Nr. 3 für Violine Solo BWV 1005 bedankte.
 

Tief konzentriert: Michael Foyle und Patrick Hahn - Foto © Johannes Vesper

Michael Foyle gewann die Netherland Violincompetition 2016, spielt regelmäßig in den großen Londoner Konzertsälen, im Concertgebouw in Amsterdam mit dem Royal Philharmonic Orchestra und dem English Chamberorchester. 2016 wurde er zum Prof. an der Royal Academy of Music in London ernannt und unterrichtet seit 2021 Violine an der Musikhochschule in Wuppertal (HfMT Köln) und das Publikum darf hoffen, ihn an gleicher Stelle wieder zu erleben
 
Die 5. Sinfonie hat Anton Bruckner (1824-1886) 1874-1878 komponiert. Er wurde im letzten Jahr wegen seines 200-jährigen Geburtstagsjubiläums mehrfach aufgeführt und es erschienen neue Biographien. Begonnen hatte er mit dem Komponieren seiner Sinfonien in Zeiten in ökonomischer Knappheit nach dem Umzug von Linz nach Wien.Da war er infolge seiner Improvisationen als Organist schon berühmt, hatte in Paris und in in London in der Albert Hall vor großem Publikum als Orgelvirtuose Riesenerfolge. Daher erstaunt seine Unsicherheit beim Komponieren. Nachdem er mit der 5. Sinfonie begonnen hatte, korrigierte und änderte er seine 3. und 1. Sinfonie. An- und aufgeregt durch den Besuch der Uraufführung von Wagners Ring des Nibelungen“ in Bayreuth, war er mit der ersten Niederschrift auch seiner 5. lange nicht zufrieden. Ganz zuletzt fügte er dem Fundament zum ersten Mal in der Musikgeschichte noch die Baßtuba hinzu. Er hat die Sinfonie dem österreichischen Unterrichtsminister von Karl Anton Franz von Stremayr gewidmet, wohl als Dank für die Berufung als zunächst unbezahlter Lehrer für Harmonielehre und Kontrapunkt an der Wiener Universität im Nov 1875. Die Verstärkung der Blechbläser für den Schlußchoral des letzen Satzes wurde bei der Uraufführung von Franz Schalk in Graz 1893 „erfunden“. Die Uraufführung der Originalpartitur erfolgt erst 1935, also nahezu gleichzeitig mit dem Bergschen Violinkonzert.
 
Zu langsamem Beginn nach pp Pizzicato der Kontrabässe, erklingen leise Streicher mit langen Noten mit ausgeprägter Dynamik im pp bis nach kurzer Generalpause plötzlich als punktiertes Tutti- Unisono das Riesenorchesters in Ges aufschrie, wobei die 32stel kürzer und härter die Dramatik noch gesteigert hätten. Über einem Orgelpunkt entwickelt sich „bewegter“ das Geschehen bis nach erneut eingeschobenem kurzem Adagio das 1. Thema erscheint und schnell kompositorisch entwickelt wird und bald in der Umkehrung. Das 2 Thema wurde seelenvoll von sonoren tiefen Streichern vorgestellt Endlich gesellt sich das 3. Thema hinzu. Unter mächtigen Unisono Passagen, blitzsauberen Holzbläsern, PP misterioso der Streicher, Choral-Bruchstücken entwickelten sich die sinfonischen Konflikte des 1. Satzes wenn Anton Bruckner Wagnersche Dramatik in seine kontrapunktisch strukturierte Sinfonik verwandelt. Mit wechselnden zuletzt steigenden Tempi ging der 1. Satz zu Ende, wobei der punktierte Aufschrei des Anfangs in der Reprise wieder zitiert wird. Das Adagio des 2. Satzes wird bestimmt durch gezupfte 6/4 Triolen, die im 2 gegen 3 Taktmaß eine gewisse innere Unruhe spiegeln. Trotz makellosen Musizierens schien der Satz gewisse Längen aufzuweisen. Der flotte 3. Satz (Scherzo, Molto vivace) dagegen mit eingeschobenem Ländler und langsameren Episoden im Wechsel bot reines musikantischeres Vergnügen. Und der Schlußsatz beginnt mit der Pizzi Introduktion des 1. Satzes, bis die Klarinette später die Oboe die fallende Oktave mit anschließender chromatischer 1/8 Punktion und Oktavsprung nach oben herausschleudert. Mit dem Fugenthema des Finales wird einige Takte die Tonart gesucht und dann geht die kontrapunktische Durcharbeitung des gesamten Themenmaterials aller Sätzen los bis zur Doppelfuge aus Hauptthema und Choral, zu dessen majestätischer Überhöhung nach langer Steigerung zum Schluß sich das gesamte Blech mit letzter Kraft und großem orchestralen Windwerk („Alles was Odem hat..“) versammeln mußte. Das zusätzliche Blech in Graz 1893 nur für das letzte Choralthema war offensichtlich nicht völlig abwegig. Wie recht hatte Anton Bruckner, als er sich selbst einen „feurigen Katholiken“ nannte. Zuletzt Ausatmung des ganzen Orchesters, Paukenwirbel und Schluß. Mit frenetischem Applaus, Blumen diesmal für den Dirigenten, Bravi ging dieses große Konzert zu Ende.
 
Dem Andenken eines Engels. 4. Sinfoniekonzert der 162. Saison. Sonntag, 15. Dezember 2024 11:00 Uhr, Montag 16. Dezember 2024, 20:00 Uhr., Historische Stadthalle Wuppertal Großer Saal Michael Fäule, Violine. Symphonieorchester Wuppertal, Patrick Hahn, Dirigent.
 Alban Berg 1885 bis 1935 Violinkonzert dem Andenken eines Engels erstens Andante-Allegretto mit zweitens Allegro.
Anton Bruckner (1824-1896) Symphonie Nummer 5 b Dur, WRB 105. 1. Introduktion Adagio -Allegro 2. Adagio sehr langsam 3. Scherzo Molto vivace. 4. finale Adagio-Allegro Moderato