Ez stuont ein frouwe alleine

von Dietmar von Aist

Foto © Frank Becker
Ez stuont ein frouwe alleine
 
Ez stuont ein frouwe alleine
und warte über heide
und warte ire liebe,
so gesach si valken fliegen.
„sô wol dir, valke, daz du bist!
du fliugest swar dir liep ist:
du erkiusest dir in dem walde
einen boum, der dir gevalle.
alsô hân ouch ich getân:
ich erkôs mir selbe einen man,
den erwelten mîniu ougen.
daz nîdent schoene frouwen.
owê, wan lânt si mir mîn liep?
jo ‘ngerte ich ir dekeiner trûtes niet!“
 
Es stand eine Dame allein
und schaute über die Heide
und schaute aus nach ihrem Liebsten.
Da sah sie einen Falken fliegen.
„Wie gut, Falke, daß du ein Falke bist!
Du fliegst, wohin auch immer du willst,
du suchst dir im Wald
einen Baum aus, der dir gefällt.
So habe auch ich gehandelt:
Ich habe mir selbst einen Mann ausgesucht,
den erwählten meine Augen.
Das neiden mir schöne Damen.
Ach, warum lassen Sie mir meine Liebe nicht?
Wirklich, ich habe doch nie einen ihrer Geliebten gewollt!“
 
Dietmar von Aist