Thomas Mann: Geboren vor 150 Jahren - gestorben vor 70 Jahren

Heinrich Breloer – „Ein tadelloses Glück“

von Johannes Vesper

Geboren vor 150 Jahren - gestorben vor 70 Jahren
 
Der junge Thomas Mann: erfolgreich, tadellos, glücklich?
 
Wer war Thomas Mann (1875-1955). Er war der vierte von acht deutschen Literaturnobelpreisträgern (1929); aber wer war er als Mensch? Das Leben sei ein Kunstwerk, meinte Rüdiger Safranski schon in Bezug auf Goethe und der Literaturwissenschaftler Hermann Kurzke, von Heinrich Breloer vorab zitiert: „Niemanden ließ er in sein Herz blicken. Nur im Werk war er frei, teilte er sich mit, auch seine Geheimnisse“.
 
Heinrich Breloer kennt Thomas Mann und dessen Familie wie kaum ein anderer, hat die Buddenbrooks verfilmt, eine ganze Filmserie über die Familie Mann produziert, hat mit mehr als 50 Freunden und Bekannten aus dem Umfeld der Manns gesprochen, korrespondiert, sie besucht, hat die Gespräche in Bild und Ton dokumentiert und dann diese Biografie geschrieben. So kam der faktengestützte, gelegentlich aber frei fiktive Text zu Stande. Er beginnt mit dem 14jährigen schlechten Schüler Thomas, der lieber Puppentheater spielte als Schularbeiten erledigte, der im Endeffekt, nach dem er sitzenblieb, mit der Obersekunda die Schule verließ, um eine Ausbildung im Versicherungswesen anzutreten. Als Schüler hatte sich Thommy literarisch bei Spaziergängen mit seinem Freund Otto vor allem für die „conträre Sexualempfindung“ von Prof. Richard Krafft-Ebing interessiert, bekam dabei tiefe Einblicke in die Abgründe vor allem der Homosexualität. Das Thema ließ ihn nicht mehr los. Seine Notizen, Schriften und Fotos zu Homosexualität, seine jugendlichen Tagebücher hat er später in München nur dem eisernen Ofen der eigenen Wohnung heimlich anvertraut und verbrannt. Er fürchtete u.U. Erpressung und wußte, zu seiner homoerotischen Neigung zu konnte er niemals bekennen, er würde wohl immer eine Maske tragen müssen. Homosexualität war strafbar. Er hat sie auch später immer verdeckt und literarisch ummantelt weiterverfolgt. (“Tonio Kröger“). Er hat sich immer hinter einem normalen, anständigen tadellosen Leben versteckt und schätzte dessen „verführerische Banalität und Wonnen der Gewöhnlichkeit“. Nur so konnte er als Urning gesellschaftlich in München bei der Familie seiner reichen Frau reüssieren. Der Geburtsfehler der Homosexualität hätte sich gesellschaftlich katastrophal ausgewirkt. Tatsächlich wird man bei der Lektüre dieser analytischen Biografie angeregt, die frühen Novellen Thomas Mann (z.B. „Der kleine Herr Friedemann“, „Das Eisenbahnunglück“) unter diesen Aspekten erneut zu lesen.
 
Erst als der Vater in Lübeck am Blasenkarzinom verstarb, fühlten sich die Brüder Heinrich und Thomas etwas freier und widmeten sich zunehmend ihren literarischen Interessen, während unter bürgerlichen Vorstellungen die Familie abstürzte, und das Haus in der Mengstraße verkauft werden mußte. 
Wenn Thomas später in München im Konzertsaal wie in der Straßenbahn der schönen Katia nachstellt, ihre Aufmerksamkeit und Nähe sucht, auch wenn er mit ihr im Englischen Garten radelt, fällt seine kalkulierte Heiratsabsicht auf. Von Liebe oder Leidenschaft ist keine Rede. Jedenfalls suchte Thomas in seinem Anderssein und seiner Einsamkeit als Schriftsteller -mit den Buddenbrooks hat er ökonomisch wie gesellschaftlich schnell einen Riesenerfolg - Schutz in der großbürgerlichen, stinkreichen Familie Pringsheim. Nach dem Ja-Wort dieses « Judenmädchens » würden sich gesellschaftlich Achtung, Respekt, Zuneigung und endlich Liebe ergeben, hoffte er. Geld oder Liebe war für Thommy keine Alternative. Jedenfalls war ihr Jawort der Glücksfall seines Lebens und Katia hatte mit ihrem Ja vor allem ihre Mutter im Auge, die ihrerseits glaubte ihre reiche Familie durch die Heirat ihrer Tochter nobilitieren zu können. Auseinandersetzungen mit dem Schwiegervater scheute Thomas nicht. Vater Pringsheim hatte die biographischen Bezüge der Novelle „Wälsungenblut“, die Analogie der Geschwisterpaare Sieglinde/ Siegmund und Katia/Klaus Pringsheim schnell begriffen und scheute die gesellschaftliche Ächtung wegen des unsäglichen jedenfalls literarischen Inzests in der Familie. Aber Thomas lebte und verwendet eben seine Erlebnisse, in dem er sie zu nobelpreiswürdiger Literatur umformte und sein Ich für andere durch « Form, Selbstzucht und Ordnung » verbarg. Bei Richard Wagner « hörte er, wie die Musik von dem sprach, was der Text verschwieg ».
 
Daß Katia ihre berufliche Karriere aufgeben würde, um die Rolle der Frau Thomas Mann, Ehefrau eines sehr berühmten Schriftstellers zu übernehmen, war für Thomas eine Selbstverständlichkeit. Daß sie ihm in Venedig am Strand seine Leidenschaft für den 13jährigen Tadziu, dessen pubertäre Schönheit und erotischen, dämmergrauen Augen nachsah, war für seine literarische Existenz existentiell. Sein literarisches Alter Ego Gustav Achenbach stirbt am Strand, Thomas aber schreibt eine Novelle.
Diese fesselnde Biographie über den jungen Thomas Mann liest sich wie ein Roman, stellenweise wie für Bildungsbürger geschrieben. Fiktion und Realität hat der Autor zu einem Bild der Person zusammengefügt, welches seine Schwiegermutter bald durchschaut hatte. « Schwiegertommy lebte nur Material » für seine Werke, schrieb sie einem Freund über seine Besuche der an Tbc erkrankten Katia in Davos für den « Zauberberg ». Ein umfangreiches Verzeichnis benutzter Quellen und Literatur regt zu weiterer Beschäftigung und Lektüre an. Sehr gut lesbar, ist das Werk literarisch Interessierten dringend zu empfehlen!
 
Heinrich Breloer – „Ein tadelloses Glück“
Der junge Thomas Mann und der Preis des Erfolgs.
© 2024 Deutsche Verlags-Anstalt München, 462 Seiten, Gebundenes Buch mit Lesebändchen und Schutzumschlag – ISBN 978-3-421-07036-4
26,- €
 
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