Die Lust an der Angst

„Nosferatu“ von Robert Eggers

von Renate Wagner

Nosferatu – Der Untote
(Nosferatu) USA 2024

Drehbuch und Regie: Robert Eggers
Mit: Bill Skarsgård, Lily-Rose Depp, Nicholas Hoult, Willem Dafoe  u.a.
 
Zu Beginn ist da ein junges Ehe- und Liebespaar, das so leidenschaftlich an einander hängt, daß man weiß – es wird nicht dauern. Tatsächlich wird der brave Angestellte Thomas Hutter von seiner Makler-Firma nach Transsylvanien geschickt, um einem sagenhaft reichen Grafen Orlok, der sich in Deutschland ansiedeln will, ein Objekt zu verkaufen. Man schreibt das Jahr  1838, und man befindet sich in der Hansestadt Wisborg – und optisch in einem schönen, geradezu klassischen Historienfilm. Der ganz schnell, sobald der junge Mann im tiefen Osten in den Karpaten eintrifft, extrem unschön wird.
Denn der amerikanische Regisseur Robert Eggers hat etwas Mutiges unternommen. Er wollte explizit eine Neuverfilmung eines der größten Horror-Klassikers der Stummfilmzeit wagen, von „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahre 1922. Es ist das immer wieder verfilmte, gedrehte und gewendete „Dracula“-Thema nach dem Roman von Bram Stoker, aber die Neuverfilmungen bewegten sich oft auf der Trash-Ebene. Nicht 1979, als Werner Herzog (mit Klaus Kinski) dezidiert Murnau neu verfilmen wollte, nicht, als Francis Ford Coppola 1992 mit Starbesetzung nach Transsylvanien reiste – und auch jetzt nicht. Eggers hat schon einige „seltsame“ historische Filme gedreht – „The Witch“ in der Welt der amerikanischen Pioniere, „Der Leuchtturm“ mit zwei einsamen, langsam wahnsinnig werdenden alten Seeleuten, „The Northman“, eine verstörende Geschichte aus der Welt der Wikinger – und ist auch hier wieder souverän in der Schilderung extremer Gefühle.
 
Sicher geht es um den äußerlichen Schauer, wenn Thomas Hutter rund um Graf Orloks Anwesen (den man oft nur von hinten sieht, eine furchterregende Stimme, Spinnenhände) schauerliche Rituale beobachtet und sich in dem Schloß alles andere als wohl fühlt. Er will nichts als nach Hause zu seiner Frau – aber mit ihm kommt auch Dracula, der Vampir… Es sind die Ratten, die über die Straßen huschen, die seine Ankunft in einem Schloß in der Nähe der Hutters ankündigen.
Es fehlt wahrhaftig nicht an Horroreffekten in diesem Film (viele der legendären Schatten-Spiele von Murnau ahmt er gekonnt nach), aber für Eggers, der auch das Drehbuch der neuen Version schrieb, bot offenbar die Figur von Hutters Gattin Ellen den interessantesten Ausgangspunkt. Eine junge, bürgerliche und anscheinend ja doch unbefriedigte junge Frau, in deren Träume der unheimliche Fremde hineinspielt – und offenbar aus den Ängsten heraus die  leidenschaftliche Begierden in ihr erweckt. Ihre unbürgerlichen Lüste erschüttern natürlich ihre ganze Umgebung (von dem schockierten, fassungslosen Ehemann ganz zu schweigen) – und am Ende mischen sich Unappetitlichkeit und Faszination auf schaurige Weise, wenn Ellen sich endlich Dracula, der sie ebenso begehrt wie sie ihn, hingebt. Da frißt er sich dann regelrecht in ihren Körper hinein, was ihr sichtlich ein paar Orgasmen beschert – aber sie befreit die Welt auch von ihm, indem sie ihn festhält, bis die Morgensonne kommt und der Vampir in sich zusammenfällt. Schaurig schön? Wie man es nimmt.
 
Es ist die alte Geschichte, dunkel-ästhetisch neu gemacht mit ein paar fabelhaften Darstellern, vor allem Lily-Rose Depp, die Tochter von Vanessa Paradis und Johnny Depp, die das Beste der (einst jugendlichen) Schönheit beider Elternteile in sich vereint und hier auch potenziertes Talent zeigt. Wie sie die Ängste und dabei die Lust an der Angst spielt, die explodierende Sehnsucht nach dem ekstatischen Untergang, nach allen transzendierenden, extremen Gefühlen, so sehr sie dies  scheinbar auch verweigert, das ist bemerkenswert anzusehen.
Als Dracula gibt Bill Skarsgård ein schauriges Gruselmonster (man weiß doch, wie gut die Söhne von Stellan Skarsgård aussehen – und dagegen war er in „The Crow“, trotz abenteuerlicher Schminke, noch geradezu attraktiv), während Nicholas Hoult sympathisch den gewissermaßen unschuldigen Bürger gibt und Willem Dafoe mit Nachdruck eine Version des bekannten Vampir-Jägers Van Helsing.
 
Gewiß, wenn man ausreichende Versionen des „Dracula“-Stoffes auf der Leinwand kennt, ist diese nur eine Variation der bekannten Geschichte, die mit geringen Grenzüberschreitungen in Richtung weiblicher Phantasie und Hysterie im Rahmen des Vorgegebenen bleibt. Doch gut gespielt und im historischen Gothic-Stil schön gemacht, kann man sich genußreich gruseln, auch wenn man genau weiß, was kommt…