Das unsichtbare Gas am Himmel

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Das unsichtbare Gas am Himmel
 
Wenn Menschen heute an den Himmel schauen, denken sie vielfach weniger über funkelnde Sterne weit draußen im All nach und sorgen sich mehr um ein unsichtbares Gas in der Luft, in der sie leben und die sie einatmen. Gemeint ist die chemische Verbindung aus Kohlenstoff und Sauerstoff, die das farblose Kohlendioxid CO₂, ausmacht und auf den ersten Blick völlig uninteressant wirkt, auch wenn Menschen es ausatmen.
     Kohlendioxid kommt als Spurengas mit einem Anteil von etwa 0,04 Prozent in der Erdatmosphäre vor, was in Fachberichten durch die Zahl 400 ppm ausgedrückt wird, womit 400 «parts per million» gemeint sind. So gering diese Menge wirkt, sie steigt durch menschengemachte Emissionen an, was den Treibhauseffekt verstärkt, der seit dem 19. Jahrhundert bekannt ist und ursprünglich als Grund dafür gefeiert wurde, daß die Erde angenehme und lebensfördernde Temperaturen aufweist. Das Kohlendioxid hindert einen Teil der von der Sonne kommenden Wärmeeinstrahlung daran, nach ihrer Reflexion von der Erdoberfläche wieder in den Weltraum zu entweichen. Das war so lange lebensfreundlich, bis die Menschen im 19. Jahrhundert anfingen, mit industriellen und anderen Aktivitäten so viel zusätzliches CO, zu produzieren, daß eine massive globale Erwärmung einsetzte, die inzwischen auf eine Klimakatastrophe hinauszulaufen scheint. Jeden Tag werden - Stand 2020 - von Menschen 100 Millionen Tonnen CO₂ in die Luft geblasen. Bevor man fragt, wie diese Entwicklung zu stoppen ist, sollte man herausfinden, woher die gigantischen Mengen kommen. Eine ausführliche Antwort auf dieses überlebenswichtige Thema würde ein eigenes Buch erfordern, aber ein paar Hinweise sollen in diesem Rahmen gegeben werden.“
     Diese Zeilen werden nach dem Abschluß der unter dem Kürzel COP26 bezeichneten Klimakonferenz in Glasgow geschrieben, auf der die Staaten der Welt sich (wieder einmal) vorgenommen haben, die Kohlendioxidemissionen bis 2050 drastisch zu reduzieren, um dafür zu sorgen, daß die Erdtemperatur nicht mehr als 1,5 Grad Celsius steigt. Als Ziel wurde das bereits im Jahr 2015 ausgegeben. Hier sollen nicht die verwirrend vielen Zahlen von Glasgow aufgeführt, es soll lediglich an ein paar Beispielen nachgesehen werden, woher die vielen Tonnen CO₂ kommen, die den Treibhauseffekt erst in unangenehme Größenordnungen und dann in lebensgefährliche Höhen treiben.
     Viele Menschen denken zuerst an den Verkehr, und wer sich erkundigt, kann erfahren, daß ein PKW mit Benzin- oder Dieselmotor im Schnitt 250 Gramm CO₂ pro Kilometer produziert, was nach 4000 Kilometern eine Tonne ergibt, die in die Luft gejagt wurde. Elektroautos emittieren nur etwa ein Drittel so viel Kohlendioxid pro Kilometer, inklusive Stromproduktion und Herstellung. Neben dem Verkehr fällt einem der Fleischverzehr ein, aber insgesamt sind die Zahlen hier nicht so schlimm. Betrachtet man den Rindfleischkonsum der Deutschen insgesamt, braucht man hierzulande sieben Jahre, um eine Tonne CO₂ zu emittieren. Eine häufig gestellte Frage lautet, wie klimafreundlich das Internet ist. Bekannt ist, daß die Nutzer von Google-Diensten für acht Gramm CO₂ am Tag pro Kopf sorgen. So läßt sich ausrechnen, daß zwei Millionen Klicks zum Ausstoß von einer Tonne Kohlendioxid führen, was vor allem durch die Rechenzentren zustande kommt, über die alle Signale laufen. Die Stadt New York emittiert eine solche Tonne CO₂, in weniger als einer Sekunde. Doch damit soll es auch der grausamen Aufrechnerei genug sein, zu deren Fortführung man sich noch die Fliegerei, die Kreuzfahrtschiffe, die Handhabung von Kryptowährungen mit ihrem gigantischen Strombedarf und selbst die großen Forschungszentren der Welt vornehmen müßte. Überall wird Strom ge- und verbraucht, überall steigt CO₂ in die Luft, und überall kann man lesen, daß eine Tonne Kohlendioxid zum Verschwinden von drei Quadratmetern des arktischen Sommermeereises führt. Das ist die Fläche, die ein Eisbär braucht, um Platz für sein Leben zu finden. Es müßte den Menschen gelingen, ihm diesen Raum zu bewahren.
 
© Ernst Peter Fischer
 
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
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Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.