Musikstunde

Vom Karneval und der großen Oper

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Musikstunde
 
 
Hallo, liebe Freunde der Musik, eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit hier zu plaudern. Warum? Weil ich mich erholen muß. Ich lebe in Bonn, und das ist bei Köln, und eben haben wir Karneval und das ist Totaleinsatz.
 
Tusch!

Haben Sie eine Vorstellung, wie es da den Schicht-Musikern geht, denen also, die in einer Karnevalskapelle bei den Sitzungen den Tusch spielen müssen? Dagegen sind Parsifal oder der Ring die reinsten Erholungsspaziergänge, Opern zum Chillen quasi, wie unsere Kinder sagen würden. Warum? No bitte: erstmal isses so, daß eine vernünftige Sitzung einer Karnevalsgesellschaft gut 8 Stunden dauert. In der Regel geht das um 16 Uhr los und vor Mitternacht kommen die Musiker nicht von ihren Pulten weg. Zweitens spielen die ja nicht auf Wink des Kapellmeisters immer denselben Tusch, so à la Tarää! Tarää! Tarää! und Schluß. Nein, das ist eine sehr differenzierte Angelegenheit. Wenn der Büttenredner kommt, wird er schon mal individuell musikalisch angekündigt und nach jeder Pointe kommt der Tusch. Aber eben auf die Pointe bezogen. Manche Kapellen haben bis zu 100 unterschiedliche „Tusche“ (Tüschs? Tuschs? Tuschen? Wie lautet die Mehrzahl von Tusch?) Ich hab nachgeschaut: gibt’s nicht! Und woher kommt eigentlich das Wort „Tusch“? Ist das nur so ein Schallwort, weil’s beim Tusch eben tusch! macht? Natürlich nicht: Tusch sei, sagt uns das wundervolle deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm zum einen ein „fanfarenartiger, musikalischer Festgruß“, dann in der Studentensprache im 18. Jahrhundert eine Beleidigung, dann, zum dritten die männliche Form von Tusche, die sich aber nicht durchgesetzt habe und zum vierten die Aufforderung, den Mund zu halten. Das sage ich nur, weil es mir so geht wie vielen: wenn Du anfängst, im Deutschen Wörterbuch zu blättern, bekommst du sehr schnell das Gefühl, noch nie wirklich deutsch gesprochen oder gelesen zu haben! Der musikalische Tusch also kommt aus dem Französischen „touche“ = Anschlag auf einem Instrument. Das alles ist schon länger her, Anfang des 18. Jahrhunderts kam dieses Wort auf. Ist doch auch nett, wenn man so was weiß, oder?!
Also: es gibt Kapellen, die bis zu 100 unterschiedliche Tüschers anbieten können und das sieht dann so aus: alle Musiker hören auf das, was der Büttenredner erzählt (was ja schon anstrengend genug ist, die hören jede Rede ja Dutzende von Malen, was für eine Qual!), damit sie bereit sind. Also: Instrumente im Anschlag, Augen hoch und wenn jetzt der Kapellmeister die Nummer 74 signalisiert, direkt den Tusch Nr. 74 tuschen, aber hallo. Das ist dann vielleicht „Freude schöner Götterfunken“ weil der Redner was von Funkenmariechen erzählt hat, oder „Uff der schwäbschen Eisenbahna“, weil der Redner was von Stuttgart gesagt hat. So, und das geht eine Woche lang im November so, dann ist Ruhe in der Weihnachtszeit, und dann ab 7. Januar jeden Tag, gnadenlos. Das sind Bedingungen, da fragst du dich als Musiker schon: Warum um alles in der Welt haben meine Eltern mich Trompete lernen lassen, wo es so schöne Berufe gibt: Einwohnermeldeamt, Buchstaben x, y und z beispielsweise. Oder Redakteur bei den Musenblättern, auch nicht schlecht.
 
Im Plattenladen (Rheinland)

Darf ich Ihnen noch was aus dem Rheinland erzählen, weil mir das grad vor ein paar Tagen passiert ist? Ich stehe in der CD-Abteilung eines Kaufhauses Abteilung Klassik. Ich wühle bei Gustav Mahler ein bißchen herum da fragt eine Dame um die 50 neben mir den Verkäufer: „Ich suche wat wie ne Oper, als Geschenk, zum Geburtstag, für meine Schwester, also wat älter als ich, in dem Moment, ich meine: hätten Sie da was da?“
Der Verkäufer antwortet wie aus der Pistole geschossen:
„Ja sicher! Woran haben Sie denn da gedacht?“
„Ja dat weiß ich doch nicht. Bin ICH der Verkäufer? Für meine Schwester – älter als ich...“
„Ja das sagten Sie schon, aber – ich meine, was hört die denn gerne?“
„Ja, dat wollt ich auch sagen: gar nicht mehr gut. Sie hat es schwer an den Ohren, also das geht ja nur noch über Kopfhörer. Das müßte also wat sein, wat sich auch im Kopfhörer gut anhört...“
„Im Kopfhörer hört sich alles gut an, das ist jetzt an und für sich egal, was das jetzt für eine Oper...“
„Nee, nee, ich meine: wenn da jetzt dann plötzlich wat weiß ich Trompeten oder so, hat man ja schon mal, kommen, das ist dann nicht gut, weil da muß die dann zurückdrehen, also leiser, wenn das so plötzlich, also das sollte jetzt nicht sein...“
„Ja das ist bei Musik aber immer, daß da mal plötzlich was Lautes...“
„Ich hab ihr letztens Reiselieder geschenkt, jetzt hier, Dingens, Winterreise, und da hat sie ausdrücklich gesagt, dat sie nie hat leiser stellen müssen, weil dat alles so schön gleichmäßig...“
„Ja aber bei Oper, also da wüßte ich jetzt nicht, ob es eine gibt, die meistens, halt! Doch! Hier: La Traviata! Das fängt ja auch ganz leise an“
„Ja dat wär schon mal fein. Aber wat is dat denn, dat Trafiata?“
„Och das ist wunderschön, das geht richtig ans Herz, herrliche Melodien, Verdi eben, wissen Sie, das ist ja immer schön, also von dem gibt es eigentlich kaum was, wo die Kunden unzufrieden mit sind“
„Ja und worum geht et denn beim dem Trafiata?“
„Das ist eine typische Frauengeschichte: ganz große Liebe natürlich, sie liebt einen Mann, sein Vater aber will nicht, daß sie ihn heiratet und dann verzichtet sie und stirbt, das ist eine Oper, die geht richtig ans Gemüt“
„Ja und warum will der denn nicht, daß sie seinen Sohn heiratet?“
„Weil die vorher als Freudenmädchen gearbeitet hat, als Nutte quasi und dabei hat sie ihn...“
„Um Gottes willen! Sind Sie bekloppt? Dat kann ich meiner Schwester doch nicht schenken! Die ist doch Schwester, hier: bei den Karmelitinnen! Die fällt mir ja vom Glauben ab, wenn ich der mit sowat komme. Nein, danke, junger Mann, dann muß ich mir wat anderes suchen, vielleicht das Hörbuch vom Beikircher, da freut sie sich auch!“
Sie werden es mir nicht glauben: sie hat das tatsächlich gesagt. Ich wollte ihr schon einen Tip geben: Suor Angelica von Giacomo Puccini, auch eine schöne Frauengeschichte, spielt im Kloster und am Schluß gibt es sogar eine echte Himmelfahrt, aber da war sie schon weg.
 
Wagner in Abu Dhabi

Es gibt ja böse Zungen, die sagen, Richard Wagner wäre der Karl May der Opernwelt. Naja, wegen Ring des Nibelungen und überhaupt den ganzen Abenteuergeschichten, die der gleene Saggse geschrieben und vertont hat. Natürlich kann über solche Scherze der Kenner und der Richard-Wagner-Freund nur lachen. Es stimmt natürlich nichts an diesem Vergleich. Jetzt aber könnte der Scherz neue Nahrung bekommen: in Abu – Dhabi hat sich ein Richard-Wagner-Verein gegründet, ist das nicht wunderbar?
 
„Gabi, ach Gabi,
komm mit nach Abu Dhabi
auch Wagner war dem Golde
schon immer mächtig holde
und macht eine Fermate
im schönen Emirate
da sehen wir dann den Parsifal
im Abu-Dhabi-Krönungssaal
in Gold und Diamanten
Saphiren und Brillanten
Drum
Gabi, ach Gabi
Komm mit nach Abu-Dhabi“
 
Ja ist das denn nicht die Nachricht vom Februar? Endlich wigalaweia, walle du Woge auf arabisch, haben wir doch immer schon drauf gewartet:
Ah-wigala-ach hamm-nna-halla walla
Ich sage Ihnen, wer einmal das Rheingold in italienisch gehört hat, den kann nichts mehr erschüttern. Freuen wir uns darüber, daß jetzt auch die Emirate unsern gleen Richard entdecken, freuen wir uns auf Neuinszenierungen aus arabischer Sicht – Wotan müßte da unbedingt US-Amerikaner sein, vielleicht Schwarzenegger, Bush ist für die Rolle einfach zu klein, weil’s dann so schön ist, wenn er scheitert! – und freuen wir uns darauf, daß demnächst in den arabischen Ländern im Zuge der Entdeckung der säggs-schn Gultur auch Karl May ein Revival erleben wird – die Bände „Durch die Wüste“ etc. werden dort ein Hit sondergleichen werden. Vielleicht gibt’s dann sogar einen post-postmodernen RegietheaterApostel, der Karl May und Richard Wagner zusammenbringt, Parallelen gäbe es ja genug – ich sage nur: Siegfried als Winnetou oder so! Wenn man nur wirklich will, geht alles!
 
Das Regietheater oder: Gründe abzureisen

Damit wären wir ja bei einem Thema, zu dem ich gerne was sagen möchte: Regietheater. Was ist das überhaupt? Regietheater, meine Damen und Herren, ist – so sagen die einen – wenn ein vollkommen unmusikalischer Regisseur eine Oper inszenieren muß und sich dafür am Komponisten rächt. Und damit natürlich in der Regel auch an den Sängerinnen und Sängern. Regietheater ist – so sagen die anderen – wenn das Denken nicht aufhört, bloß weil eine Arie einem ins Gemüt geht. Regietheater ist – so sagen wiederum die einen – wenn die Oper Salome in einem Bordell spielt, das dem Herodes gehört, der nix anderes im Kopf hat, als mit seiner Tochter zu schlafen, dem Jochanaan jedoch den Kopf abschlagen läßt, damit die Tochter Salome nicht dahinter kommt, daß er impotent ist... äh, oder so. Regietheater ist – sagen die anderen – wenn man den Staub von der Partitur pustet und dem Publikum zeigt, daß ein Wirtschaftskonzern oder eine politische Partei heute genau so funktionieren und genau dieselben Krankheiten haben wie z.B. die Götter in Walhall. Regietheater – kontern die anderen – läßt Verdi nicht mehr Verdi sein, verhindere die Hingabe an die Musik, das Gerührtsein und in Tränen dahinschmelzen. Regietheater – geht die Gegenrede – zeigt, daß die Oper lebt, daß große Kunst zeitlos ist und auch für uns heute eine Bedeutung hat, die man sichtbar machen muß.
 
„Hast Du Dich eigentlich schon mal gefragt“, fragt der Regisseur xy den großen Wagner-Sänger Bernd Weikl, der dem Hans Sachs in den Meistersingern von Wagner weltweit Stimme und Persönlichkeit verliehen hat, „hast Du Dir schon mal überlegt, warum der Hans Sachs keine Kinder hat, wo er doch ein so toller, von allen geliebter Mann ist?“ Nöö, meint Bernd Weikl, habe er nicht. „No, weil er schwul ist natürlich. Du mußt in meiner Inszenierung den Hans Sachs schwul spielen, wie findstn das?“ „Zum Kotzen“ meint Bernd Weikl und reist ab. Eine wahre Anekdote, aber genau das sind die Ängste des Abonnenten beim Heben des Vorhangs: was kommt denn jetzt schon wieder auf uns zu?! Der klassische Abonnent will vor dem Vorhang Platz nehmen, wie Claus Spahn in der Zeit schreibt: „Hier soll sich das Herz öffnen, die Welt draußen bleiben, und die Filzpantoffeln sollen da stehen, wo sie immer standen. Nur – so schreibt er weiter – in die alte Gemütlichkeit führt kein Weg mehr zurück.“ Und genau das ist das Problem. Scheut einer das Risiko, dem Publikum wirklich seine Sichtweise der Oper zu schildern – immer vorausgesetzt, er hat die Fähigkeit dazu - wird es schnell langweilig. Dann doch lieber eine historische Inszenierung der Oper mit allen Konsequenzen, was da auch hieße „Werktreue“ und davon reden ja alle im Moment. Nur: was ist das überhaupt?
 
Was heißt Werktreue?

Was heißt denn Werktreue, wenn eine Oper wie z.B. die „Incoronazione di Poppea“ von Claudo Monteverdi ein einziges Durcheinander verschiedener Kompositionen verschiedener Komponisten ist, ein Eintopf, den Monteverdi wahrscheinlich in einiger Zeitnot zusammengerührt hat, damit man die Oper rechtzeitig im Karneval 1642 – oder 1643, auch das ist unsicher – hat aufführen können. Und mit welchen Instrumenten? Man könnte sie mit dem Akkordeon spielen lassen und es wäre nicht wirklich werkungetreu, weil damals die Instrumentierungen sehr pragmatisch waren: es spielt mit, wer da ist mit dem was er dabei hat und basta! Angesichts solcher Situationen ist das mit der vielgeforderten Werktreue ein bißchen schwierig, oder? Ich schlage vor: vermeiden Sie im Foyer Ihrer Oper einfach diesen Begriff, er führt nur in die Sackgasse. Zumal mit dem, was die Regietheaterkritiker unter Werktreue verstehen, eh nicht Werktreue gemeint ist sondern: sie wollen die Oper so sehen, wie sie sie immer schon gesehen haben: die Violetta in der Traviata muß uns zum Weinen bringen und soll uns von den Bildern her in die gute alte Zeit von 1850 führen, dann tut das Verbrechen, das dieser unerträgliche Vater seiner zukünftigen Schwiegertochter antut, auch nicht mehr so weh, weil es ja soooo weit weg ist von uns. Violetta in der Puppenstube – hat schon bei Nora nicht funktioniert.
 
Ja, ich gehe gerne in die Oper. Nein, ich bin auch nicht immer einverstanden mit dem, was einem da so alles geboten wird. Ja, ich sehe die Priorität in der Musik und gehöre deshalb zu denen, die im Zweifelsfall die Augen schließen, wenn das, was man sieht, schmerzt. Im Gegensatz zu vielen Feinden des Regietheaters habe ich aber gegen es eher etwas einzuwenden, wenn es den Sängern keine Luft mehr läßt, weil der Chor beim fliegenden Holländer in den Wanten herumturnen muß oder Treppen rauf und runter läuft oder wenn die Sänger gegen den Takt laufen müssen oder nach hinten singen sollen, weil da grad jemand steht, den sie ansingen. Nein, meine Herren, Oper ist kein Sprechtheater, da brauche ich nicht die Logik der Kommunikation zu strapazieren, Oper ist eh das Unlogischste, was man sich vorstellen kann, zum Glück. Und wenn eine Leonore im Fidelio nur ganz hinten und obendrein nicht mal im Licht stehen darf, weil der Regisseur durch einen Schauspieler die Doppelbödigkeit dieser Hosenrolle zeigen will – wo man eher von Doppelblödigkeit sprechen sollte – dann habe ich, wie man im Rheinland sagt, sooo einen Hals und stünde am liebsten auf und ginge.
 
Die Sätze, die nun folgen, hat Erika Heck in einem Interview mit dem Magazin der SZ am 21. Juli 2006 gesagt. Erika Heck ist 92 Jahre alt und geht seit 1921 jedes Jahr nach Bayreuth zu den Festspielen. Kompetenter kann man nicht sein! Sie sagte:
„In den letzten Jahrzehnten wird in unserer Runde von treuen Wagnerianern auch viel geschimpft: die Inszenierungen passen oft nicht zur Musik, von Werktreue kann keine Rede mehr sein. Aber ganz ehrlich: Es ist nicht die Aufgabe der jungen Regisseure, eine 92-jährige Dame zu begeistern. Als Patrice Chéreau 1976 den Jahrhundert – Ring inszenierte, waren wir auch alle erst mal stinksauer, doch als er das letzte Mal gegeben wurde, applaudierten wir eine Stunde lang.“
Also: Oper ist und bleibt etwas Lebendiges und wenn ein Abend lebendig ist – egal ob konservativ oder avantgardistisch inszeniert – dann blüht er auf und dann zeigt sich, daß Oper etwas wunderbares ist.
 
Mahler-Anekdoten

Zum Stichwort Werktreue hat sich in den letzten Wochen etwas getan, was mich sehr amüsiert hat. Es geht um Gustav Mahler. Wir wissen: er hat bis zu seinem Tod 1911 u.a. 9 Sinfonien ganz und eine zehnte als Fragment komponiert. Seine Werke werden immer häufiger aufgeführt, es sind gigantische Orchester erforderlich, um sie „werkgetreu“ aufzuführen, also so, wie er sie geschrieben hat. Da brauchts Chöre, Gesangssolisten etc. pp., vom Feinsten also, kompositorische Großbaustelle, sozusagen, da wird geschrieben und gelitten gleichzeitig, des kann ich Sie versichern!
Seine – zeitweilige – Frau Alma Mahler-Werfel erzählt, daß Gustav Mahler, als man ihn als Kind fragte, was er einmal werden wolle, wie aus der Pistole geschossen antwortete: „Märtyrer!“.  Und als er mit Bruno Walter, dem Dirigenten und Kollegen – Mahler war seinen Zeitgenossen vor allem als genialer Dirigent ein Begriff – am Höllengebirge spazierenging, sagte er: „Sie brauchen gar nicht mehr hinzuschauen – das hab ich alles schon wegkomponiert!“. Mahler hat eine zeitlang sehr stark autobiographisch komponiert, man könnte beinahe sagen: keine Frau, mit der er was hatte, blieb unkomponiert und er komponierte die Kommentare aus seinem Innenleben auch gleich mit dazu. Das muß nicht jeder mögen: Sergiu Celibidache mochte das nicht. Mein Neffe Lukas Beikircher, heute Dirigent an der Oper in Darmstadt, besuchte einen der Sommer-Dirigier-Kurse, die Celli abhielt. In der Zeit war Lukas ein großer Mahler–Fan, was lag näher, als den „Meister“ zu fragen, was ER denn von Mahler hielte. Celli antwortete nicht. Lukas wiederholt die Frage. Wieder keine Antwort. Lukas wiederholt noch mal, da schaut ihn Celli an und sagt: „Ich denke, wir wollten über Musik sprechen?!“ und fertig. So weit will ich um Gottes Willen nicht gehen, es gibt viele Töne Mahlers, die ich liebe. Nun ist es auch so: zur Zeit Mahlers – und er war ein großer Dirigent – war die Entwicklung der Orchester zu dem, was wir heute gewohnt sind, abgeschlossen. Orchestertechnisch gesehen konnten Richard Strauß und Gustav Mahler (und Prokofiew und Strawinsky und und und) absolut aus dem Vollen schöpfen. Da ist schon interessant, daß der große Dirigent Sir Roger Norrington auf die Idee – oder sollte man in diesem Zusammenhang eher sagen „auf den Trichter“ gekommen ist, sehen wir ihn doch vor uns: den Trichter und den Hund davor! – also auf den Trichter gekommen ist, zu sagen, er wolle Mahler im historisch korrekten Klang spielen, quasi im Kammerton, ohne Vibrato, er klinge ja ansonsten sehr nach Albert Speer! Verehrter Herr Norrington: wie war das bitte? Mahler, gestorben 1911, nach Albert Speer, geboren 1905, gestorben 1981. Also wenn, dann hat Speer gebaut wie Mahler komponiert hat und auch das wäre nicht wirklich ein gerades Bild. Mahler klingt, wenn überhaupt, eher nach der gigantischen Jahrhundertwende-Architektur, nach monumentalem Jugendstil mährisch-österreichischer Färbung, aber doch nicht wie Albert Speer! Sehr geehrter Sir Norrington, ich bitte Sie herzlichst, diese Parallele noch mal zu überdenken. Andererseits freue ich mich darauf, zu hören, was man sich jetzt unter Gustav Mahler im historisch korrekten Klang vorzustellen hat.
 
Scala mit Krawatte - endlich!

Und eine gute Nachricht zum Schluß:
Endlich machen auch die Italiener Schluß mit Lustig. Das Ende der Schlamperei ist angesagt, wir wissen ja: der am schlechtesten gekleidete Mensch weltweit ist der Italiener. Wo der Brite oder der Holländer nicht ohne adretten Anzug (gerne von adidas), edlem Schuhwerk (gerne von nike) und erlesenem Schmuck (gerne von Swarovsky) vor die Haustüre laufen, läuft der Italiener rum, daß es einen graust. Löcherige T-Shirts, immer ein paar Nummern zu groß, schlabbrige Anzüge, meistens ungebügelt, irgendwelche ausgelatschten Ledertreter, kurz: so konnte es nicht weitergehen. Und so geht es auch nicht weiter: die Scala hat eine Kleiderordnung erlassen: Schlips und dunkler Anzug, wenigstens aber Jackett und Krawatte. Auch die Damen müssen Kleidung tragen, die im Einklang mit dem guten Ton des Theaters steht. Das war aber mal Zeit, liebe Scala, danke und weiter so! Das heißt auch Absage an die Diktatur der Magersucht, denn die Scala hat opulente Töne anzubieten. Danke Scala, so kann es mit der Oper wieder aufwärts gehen. Erinnern wir uns: Oper ist entstanden in einer Zeit, als die Menschen so schön wie nie zuvor gekleidet waren. Und sie ist in die Krise geraten, als die Kleidung immer schlampiger wurde. Das hat doch alles einen Zusammenhang. Also: drücken wir der Scala die Daumen und hoffen wir so auf die großartige Erneuerung der Oper!


© Konrad Beikircher
Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker