Kleben, Schwitzen und Erröten

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Kleben, Schwitzen und Erröten
 
Zurück zu harmloseren Themen: Warum klebt Zuckerwasser vor allem als zäher Zuckerguß - an den Fingern, während Wasser selbst nur naß ist und sich einfach abwischen läßt? Um dies klären zu können, muß man sich die Moleküle genauer anschauen, die bei der klaren Flüssigkeit, mit der man sich wäscht und seine Zähne putzt, jedem geläufig sind und H₂O heißen. Zwei Atome Wasserstoff und ein Atom Sauerstoff ergeben ein Wassermolekül, wobei das Bemerkenswerte darin besteht, daß es zwei Gase sind, die sich zu einer Flüssigkeit vereinen. Dieser rätselhafte Schritt vollzieht sich in der Knallgasreaktion, die Chemiker bereits im 18. Jahrhundert ablaufen lassen konnten. In der klebrigen Lösung des Zuckerwassers tun sich ein fester (und trockener) Stoff und eine Flüssigkeit zusammen. Die Zuckermoleküle bestehen aus Kohlenstoffringen, die von Wasser- und Sauerstoffen zu größeren Gerüsten verarbeitet werden. Sie lassen sich in die weiße Würfelform bringen lassen, die zum Tee angeboten werden kann. Chemisch gesehen findet man in den Kristallen Wasserstoff und Sauerstoff. Die H₂O-Moleküle können sich zwischen sie schieben und den Zucker auflösen, der ins Wasser getaucht wird. Bei diesem Vorgang werden die Kohlenstoffringe frei, die einige außen liegende Wasserstoffatome behalten. Sie suchen nach Möglichkeiten, sich zu verbinden, und wenn sie dabei auf Hautzellen treffen, packen sie zu, was sich klebrig anfühlt. Natürlich müsste zu einer umfassenden Erklärung dieses Phänomens nicht nur der süße Brei, sondern auch die Haut thematisiert werden, auf der der Zuckerguß haften kann.
     Als Nächstes kann man sich der Frage zuwenden, warum Wasser ohne Zucker anders ist, nämlich einfach nur naß. Wer dazu etwas sagen will, muß zuerst klären, was mit „naß“ gemeint ist. Die Antwort lautet, ein Stoff ist naß, wenn er sich anheften und etwa auf der Haut ausbreiten und anders als Mehl als Ganzes auf ihr halten kann. Wasser bildet eine große Oberfläche, und nun kommt die Physik ins Spiel, die es dem dünnen flüssigen Film auf der Haut erlaubt, rasch zu verdunsten. Das geschieht spontan, benötigt aber Energie, die dem Körper entzogen wird. Als Folge davon wird es einem Menschen im angenehmen Fall kühler - deshalb badet man gerne im Sommer -, während man im unangenehmen Fall zu frieren beginnt und blaue Lippen bekommt. Diese Situation kennen alle, wenn sie aus dem Wasser kommen und zudem ein Wind weht. Zum Glück besteht die Möglichkeit, sich warm zu zittern, das heißt, durch ruckartige Bewegungen von Muskeln Hitze zu erzeugen. Das ist eine Aktion, die Männern leichter fällt als Frauen, da sie mehr Muskeln aufweisen. Zudem ist die weibliche Haut etwas dünner, was es Frauen schwieriger macht, ihre Körperwärme zu konservieren. Männer haben mehr Muskeln, weil die Natur sie reichlicher mit einem Hormon namens Testosteron ausgestattet hat, das zum Muskelaufbau benötigt wird. Die Evolution hat die Männer damit versorgt, weil sie auf die Jagd gingen und dabei so athletisch wie möglich sein mußten. In den Anfängen der Menschheit bestand für die Frauen bei der Versorgung der Familie mehr die Aufgabe, das Feuer vorzubereiten. Das erforderte sorgfältiges Planen und neben der Aufsicht der Kinder ein koordiniertes Handeln. Um ein Kind zu erziehen, ist ein ganzes Dorf oder ein Stamm nötig, so ist zu lesen, und die erforderliche Teamleistung verdanken wir vornehmlich den Frauen.
     Übrigens - die Muskelkraft der Männer nimmt vor allem beim Eintritt in die Lebensphase zu, die Pubertät heißt und die auch mit einem Stimmbruch verbunden ist, wobei damit nur die harmlosen Begleiterscheinungen der Erlangung der „Geschlechtsreife“ angesprochen sind, die auf Lateinisch „pubertas“ heißt. Wer fragt, was die Pubertät den Menschen bringt, wird von Biologen etwas von der einsetzenden Fortpflanzungsfähigkeit hören. Aus Kindern werden erst Teenager und dann Erwachsene, was Neugierigen ein ganzes Spektrum an Themen eröffnet. Ganz am Anfang etwa die Frage, warum Menschen so hilflos, nämlich als „physiologische Frühgeburten“, wie es der Biologe Adolf Portmann genannt hat, zur Welt kommen.
Bei Antworten darauf muß man zwei Aspekte unterscheiden. Der erste handelt von der Größe des menschlichen Gehirns, das im Laufe der Evolution so an Umfang zugenommen hat, daß das Leben der Mutter gefährdet würde, kämen die Kinder später zur Welt, als sie es jetzt tun. Und da sich als Folge dieses Frühgeborenwerdens das menschliche Gehirn weiterentwickelt, während seine Träger schon herumkrabbeln und die Umgebung mit den Sinnen wahrnehmen und spielerisch erkunden, kann sich ein Mensch höchst flexibel an die Natur und alles um ihn herum anpassen. Letztlich kommt das dem zugute, was man die Intelligenz nennt. Nun scheint sie ausgerechnet während der Pubertät eine Pause zu machen: Die Pubertierenden tuscheln und kichern lieber und verlieren die Lust am systematischen Lernen, sie halten immer weniger von den elterlichen Regeln und Ratschlägen und begeben sich durch Fehleinschätzungen in Gefahren und neigen dem Konsum von Drogen zu. Physiologisch betrachtet, befindet sich das Gehirn in einer Umbauphase, wobei die Neuausrichtungen so plötzlich abgeschlossen sein können, wie sie begonnen haben. Die Pubertät liefert wie jede Entwicklungsphase eines Menschen eine unendliche Geschichte, die man in der allgemeinen Einsicht zusammenführen kann, daß es im Leben einer Person nur Bewegung gibt und jeder und jede sich in immer neuen Phasen des Lebens neu erfinden und permanent schöpferisch tätig sein muß. Lebenslanges Lernen gehört zum Leben. Es gibt kein Ich, wie man etwas hochtrabend sagen könnte, es gibt nur das Bemühen eines oder einer jeden Einzelnen, dieses Ich zu werden und es aus sich hervorzubringen.
 
 
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
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Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.