Jetzt wird es höchste Zeit
Nach dem Anschlag von München
Von Lothar Leuschen
Die Bilder gleichen sich. Sie machen erschrocken, betroffen und hilflos. Zunächst. Mit Abstand betrachtet, ergibt sich aus den Anschlägen in Magdeburg, in Aschaffenburg und am Donnerstag in München ein klares Bild. Es zeigt auf der einen Seite die Grenzen dessen auf, was eine Gesellschaft zu leisten im Stande ist. Auf der anderen Seite fordert es zu konsequentem Handeln auf. Noch ist gar nicht klar, was den 24 Jahre alten Afghanen umgetrieben hat, als er mit seinem Auto in eine Kundgebung der Gewerkschaft Verdi gefahren ist. Die Behörden haben in der Kürze der Zeit bisher nicht ermitteln können, ob die Attacke islamistisch motiviert gewesen ist, oder ob der Täter aus Wut oder aus Lust am Leid anderer handelte. Nach allem, was bekannt ist, handelt es sich bei dem Afghanen um einen abgelehnten Asylbewerber und um einen jungen Mann, der durch Ladendiebstahl und Drogenmißbrauch polizeibekannt geworden ist. Aus alldem läßt sich nicht ableiten, daß er eine tickende Zeitbombe war, deren Detonation sich im Grunde abgezeichnet hat. Doch das spielt angesichts 28 teils schwer verletzter Opfer allenfalls eine Nebenrolle.
In der Hauptsache geht es darum, daß der Täter eigentlich gar nicht mehr in Deutschland hätte sein sollen. Doch abgeschoben wurde er nicht. Das werden sich die zuständigen Stellen vorwerfen lassen müssen. Wieder einmal. Das ist Wasser auf die Mühlen jener, die aus dem schwierigen Thema Migration politisches Kapital schlagen wollen. Es ist vermutlich nicht zynisch anzunehmen, daß nach solchen Taten in der Parteizentrale der AfD klammheimliche Freude ausbricht. Unabhängig von der Gefühlslage der blauen Rechtsextremisten ist es spätestens seit den schrecklichen Bildern von München Zeit einzusehen, daß die „Wir-schaffen-das“-Migrationspolitik gescheitert ist. Sie überfordert das System. Die zuständigen Behörden können ihre Aufgaben nicht mehr bewältigen. Das Ergebnis sind Menschen, die ohne Perspektive in einem fremden Land in den Tag hineinleben. In sehr seltenen Fällen führt das zu Gewaltexzessen. Aber in zwischen geschieht das zu oft, als daß die Gesellschaft es noch ertragen könnte.
Der Kommentar erschien am 14. Februar in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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