Ein Ärgernis namens Handy

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Ein Ärgernis namens Handy
 
In diesen Tagen des frühen 21. Jahrhunderts kann der Blick auf die pubertierenden Jugendlichen nicht übersehen, daß für viele von ihnen das Handy oder Smartphone eine wichtigere Rolle spielt als die übrigen Familienmitglieder. Viele ziehen die virtuellen den realen Kontakten vor, und auch wenn Smartphone-Nutzer direkt angesprochen werden, schaffen sie es kaum, ihre Augen einmal von dem Display zu lösen. Zum Teil läßt sich das mit der Evolution im Hinterkopf erklären. Menschen sehen nicht nur gezielt und fokussiert auf ein Gegenüber in der Nähe oder einen Gegenstand in der Ferne. Ihre Wahrnehmung erfaßt auch die Peripherie des Blickfeldes, und zwar so, daß selbst die kleinste Bewegung dort Aufmerksamkeit bekommt. Viele werden das kennen, wenn sie etwa in einen Konzertsaal mit vielen Menschen auf ihren Plätzen blicken, und während sie das tun, öffnet sich im Hintergrund eine Tür. Sie kann noch so klein sein. Ihre Bewegung zieht unmittelbar das Interesse der Umsich-Schauenden auf sich, weil die Evolution Menschen darauf eingestellt hat, selbst kleinste Veränderungen am Blickfeldrand ernst zu nehmen. Schließlich könnte es sein, daß sich von dort her Gefahr in Gestalt eines Raubtiers nähert. Natürlich dringt kein Tiger in den erwähnten Konzertsaal ein, aber die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit raschen Bewegungen zu widmen, gehört zur bleibenden Grundausstattung menschlicher Verhaltensweisen - und die springenden und unentwegt wechselnden Bilder auf dem Handydisplay nutzen dies aus. Man kann die Augen nicht von dem zuckenden bunten Gewimmel lassen und starrt weiter auf sein Smartphone, sogar wenn man angesprochen wird oder eigentlich nichts Neues auf dem Apparat zu sehen bekommt. Die bewegten Bilder lassen die Blickenden nicht los, und so zeigt sich im Umgang mit neuester Technik immer noch die alte Natur des Menschen.
     Es gehört zu den Grundmustern aktueller Kulturkritik, vor dem Gebrauch der Smartphones zu warnen, weil sie das zu verursachen scheinen, was man mit dem hübschen Ausdruck der „digitalen Demenz“ beschrieben hat. Genauso gut läßt sich aber fragen, warum sich die Menschen durch dieses Wunder in ihrer Hand, dessen Funktionieren von Magie nicht zu unterscheiden ist, nicht zu einem endlosen Staunen anregen lassen und neugierig wissen wollen, wie die Welt zum einen überhaupt in diese Maschine hineingekommen ist und wie sie zum Zweiten als Bild, Musik oder Sprache wieder herauskommen kann. Früher brauchte man Tonträger wie Schallplatten oder CDs, um Töne zu reproduzieren. Aber so etwas findet sich in einem Smartphone nicht. Wie kann es trotzdem ein Klavierkonzert ertönen lassen? Und auch nach dem Unterschied zwischen den Farben auf dem Display und denen in der Natur habe ich zu meinem Bedauern noch nie jemanden fragen gehört. Wie viele Farben kennt die Natur und bietet ein Display? Fühlen sich Menschen durch die Zauberdinger in ihren Händen überfordert und verzichten deshalb selbst auf den geringsten Versuch, ihre technische Unmündigkeit aufzuheben, wie es die Aufklärung einmal propagierte? Klar ist, daß das Handy die Menschen weniger „mündig“ und eher „händisch“ macht, und die Frage an die Gesellschaft lautet, ob man da Abhilfe schaffen sollte, und wenn ja, wie das geschehen kann.
     In seinem Buch Homo ludens hat der niederländische Anthropologe Johan Huizinga bereits 1938 beschrieben, wie Menschen sowohl ihre kulturellen Fähigkeiten als auch ihre individuellen Eigenschaften im Spiel entdeckt haben. Der Mensch ist „nur da ganz Mensch, wo er spielt“, hat Friedrich Schiller einmal geschrieben. Heute unternimmt der Homo ludens dies mit dem Computer. Man kann darüber die Nase rümpfen, aber wer das tut, sollte erst einmal die komplexe Hardware bestaunen, die mit passender Software zu betreiben ist, was bei den Spielerinnen und Spielern höchste Fingerfertigkeit erfordert und logisches Denken zum Dauereinsatz zwingt. Vielleicht fängt die Geschichte des Spielens, an dem Menschen beteiligt sind, erst in der digitalen Welt so richtig an. Wer kann das schon wissen?
 
 
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
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Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.