Neues aus Absurdistan

Erdogan zeigt, wie Autokraten agieren

von Lothar Leuschen​

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Neues aus Absurdistan
 
Erdogan zeigt, wie Autokraten agieren
 
Von Lothar Leuschen
 
Sehr überraschend ist das Schicksal von Ekrem Imamoglu nicht. Der Bürgermeister von Istanbul sitzt jetzt in Haft. Die Begründung ist von der Stange. Wann immer Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan jemanden aus dem Weg räumen will, bemüht er dessen vermeintliche Unterstützung der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Das reicht der offenkundig längst gleichgeschalteten Staatsanwaltschaft, alles Notwendige einzuleiten. Also umstellte schwer bewaffnete Polizei das Haus Imamoglus, um den Haftbefehl zu vollstrecken. Zuvor hatte die Istanbuler Universität Imamoglu das vor 30 Jahren erarbeitete Diplom in Wirtschaftswissenschaft aberkannt. Sicher ist sicher. Denn falls es sich nicht nachweisen ließe, dass Imamoglu die PKK unterstützt hat, dann hilft die Aberkennung des Studienabschlusses. Der ist nämlich notwendig, um in der Türkei um das Amt des Präsidenten kandidieren zu können. Und das soll für 2028 erklärtes Ziel des Istanbuler Bürgermeisters sein. Für Erdogan wäre das unangenehm. Denn derselbe Imamoglu hatte jüngst die Kommunalwahl in der Millionenmetropole beeindruckend gewonnen und sich so potentiell den Kandidatenstatus erarbeitet. Die Hoffnungen vieler Türken ruhen immer noch auf dem Mann der Republikanischen Volkspartei.
 
Was derzeit aus der Türkei zu hören ist, klingt nach Nachrichten aus Absurdistan. Wer das Land durch Urlaube kennt und mit Türken in Deutschland spricht, mag kaum glauben, was sich in Istanbul ereignet hat. Aber es stimmt. Leider. Es ist wahr, weil in der Türkei ein Präsident an der Macht ist, den es schon lange nicht mehr kümmert, was seine Kritiker im In- und im Ausland von ihm denken. Erdogan hat aus der Türkei Kemal Atatürks ein autokratisches System gemacht, das auf ihn zugeschnitten ist. Im Inland läßt er Widersacher einsperren, wenn sie ihm gefährlich werden. Und im Ausland kokettiert er mit der militärischen Macht der Türkei, die er nach Gusto in jede Richtung lenken kann. Deshalb steht zu befürchten, dass Ekrem Imamoglu aus der EU wenig Unterstützung zuteilwerden wird. Die Türkei wird schließlich für die neue Verteidigungsarchitektur des alten Kontinents benötigt.
 
 
Der Kommentar erschien am 20. März in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.