Das Programm

von Hellmuth Opitz
Das Programm

Jeden Morgen dieser Mann, der seinen dunkelblauen
Golf auf dem Seitenstreifen unserer Straße parkt, gekonnt
die Lücke zwischen anderen Autos füllt, dann aussteigt
und die Tür sanft schließt, sekundenlang hineinspäht
ins Fenster auf der Fahrerseite, bis zehn zähln seine
Finger, dann geht es weiter hin zum Heck, auch dort
der Blick durchs Fenster zehn Sekunden lang,
ein Takt, der ebenso gehalten wird, als er hinüber
wechselt zur anderen Vordertür. Dann folgt die nächste
Runde: Türgriff kontrolliern, je sechs Mal drücken
auf Fahrer-, Heck-, Beifahrerseite. Erst dann,
dann darf er wirklich los. Mit seinem Baseballcap
sowie der Umhangtasche mit Reklameaufdruck geht er
zur Arbeit wie ein Junge, der zur Schule läuft.
Drei Mal dreht er sich noch um zu seinem Golf,
genau drei Mal. Nicht auszudenken, was passierte,
wenn nur ein wenig anders wär bei seiner Rückkehr.
Bemerkenswerter nur: Der Zwang, ihm jeden Morgen
dabei zuzusehen, wie er sein Programm durchläuft.
 
Hellmuth Opitz

aus: „In diesen leuchtenden Bernsteinmomenten“, Pendragon 2017