Oscar Wildes Gefängnis-Jahre
als Doku-Musical am
Düsseldorfer Schauspielhaus
Streichinstrumente live, Bühnenbild, Kostüme, Darsteller
sowie Regie- und Autorenleistung von André Kaczmarczyk überzeugen
„Die Märchen des Oscar Wilde erzählt im Zuchthaus von Reading“ ist der Titel eines sehr sehenswerten Stücks, das jüngst im Düsseldorfer Schauspielhaus seine grandiose Premiere erlebte. Regie führte der auch als Schauspieler sehr beliebte André Kaczmarczyk, der auch für weite Teile des knapp dreistündigen Stücks als Autor verantwortlich zeichnet. Er hat nämlich nicht nur Wildes Werke und Briefe verwendet, sondern sich einfallen lassen, daß der gefeierte und durch einen Richterspruch wegen seiner Homosexualität zu einer zweijährigen Haftstrafe plus Zwangsarbeit verurteilte Dichter im Gefängnis seine teils schwülstigen Märchen über Liebe, Leid und Lust zum Leben erweckte.
Zuallerst aber bekommen die Zuschauer zwei lange und faszinierende Szenen der beiden Gerichtsverhandlungen mit, bei denen sich der Dandy-Dichter wortgewaltig gegen Unterstellungen des Anklägers zur Wehr setzt, der immer und immer wieder Wildes Begehren nach jungen Männern ins Rampenlicht stellt. Großartig die beiden Kreuzverhör-Akteure: Yascha Finn Nolting als Oscar Wilde und Sebastian Tessenow als Ankläger Carson. Nach dem ersten Prozeß raten ihm Freunde, vor der nächsten Verhandlung England zu verlassen und in ein toleranteres Land zu gehen. Dies lehnt er ab, wohl weil der erfolgsverwöhnte Star-Dramatiker Wilde sich nicht vorzustellen vermag, daß man ihn tatsächlich hinter Gitter bringt und weite Teile seiner Leserschaft ihn fallen lassen.
Ihm erzählt Wilde seine Märchen und läßt sie in den abendlichen Lesemomenten in der Zelle für den einfachen aber grundehrlichen Martin lebendig werden. Da stolziert ein ganz in rosafarbener Ritter-Rüstung steckender Lord Alfred Douglas - wortlos und lasziv gespielt von Eray Gülay in lockig-dunklem Haar, das bis auf die Schultern fällt. Er war und ist Wildes große Liebe, die sich - immerhin gehört er dem Adel an - vor dem Verfahren von ihm losgesagt hat. Die Amsel, die sich in einem der Märchen für den Liebenden opfert, indem sie sich die Dornen eines Rosenstrauchs ins Herz drückt, damit die weiße Blume durch das Vogelblut rot gefärbt, das Herz der Schönen erweicht, für die der schmachtende Student schwärmt.
Genial die Idee in der Inszenierung, ein kleines Live-Orchester einzusetzen, das im Bühnengraben - fast unsichtbar für de Zuschauer - Wildes Märchen auch noch vertont. Sechs Musikerinnen und Musiker unter Leitung von Matts Johan Leenders, ein Flügel, mehrere Streichinstrumente und eine Miyadaiko-Trommel verzaubern auf ihre Art in den Märchen-Erscheinungen in der berühmt-berüchtigten Haftanstalt. Wilde erhält mehrfach Besuch im Knast. Seine Ehefrau Constance, die inzwischen - wegen des Skandals - einen anderen Namen angenommen hat - kommt mit ihren zwei gemeinsamen Kindern aus Italien angereist, ein guter Freund mit vielen Ratschlägen erscheint mehrfach im Gefängnis.
Doch einzig Mr. Martin scheint ihn zu nehmen wie der vordem verehrte Dichter inzwischen ist. Er sorgt sich um Wildes Gesundheit, bringt ihm - trotz Verbot ein Glas fettiger Brühe zur Gesundung oder aber Ingwer-Plätzchen, die dem Gefangenen seine Tage und Nächte in Reading versüßen sollen. Dabei sparen Martin und Wild jede Anspielung in den Märchenerzählungen, die auf die im victorianischen England verbotene gleichgeschlechtliche Liebe hinweisen könnte, einvernehmlich aus. Wäre Martin nicht gewesen, so die Inszenierung, hätte Wild aller Wahrscheinlichkeit nach - die Haftzeit nicht überlebt.
Und Martin, der so einfühlsame Gefängniswärter, dem stets daran gelegen war, Wilde dieses Überleben so gut es geht zu ermöglichen, wurde aus seinem Beruf hinausgeworfen, weil er sich über die strengen Vorschriften ein ganz klein wenig hinweggesetzt hatte. Eine weitere bedeutende Figur in der sehenswerten Inszenierung: Die von Kaczmarczyk eingebrachte Wilde-Mutter, die Diseuse und Chansonsängerin Georgette Dee, die in wallendem Outfit und blonder Haartracht mit einer an Zarah Leander erinnernden sonoren Stimme Songs und Gedichte von Wilde daherschnurrt. Auch Michael Fünfschilling als steif-berockter Märchen-Zwerg und als hingebungsvolle Nachtigall kommt sehr gut rüber.
Kleine Kritik: Wilde schluchzt und weint und windet sich ein wenig zu oft und oft auch zu leidenschaftlich in seiner Gefängniszelle. Das nervt zwischendurch. Ansonsten gibt es lang anhaltenden, ehrlichen Applaus und minutenlange Standing Ovations für einen geradezu fantastischen Theaterabend, ein wunderbares Ensemble, eine tolle Bühne und herrliche Kostüme sowie eine tolle Regie- und Autorenarbeit im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspiels. Weitere Informationen: www.dhaus.de |