Aus unserer Reihe „Der Tier und das Mensch“
Krokodile wollen auch nur spielen
Es gibt einen kleinen Park, durch den wir gerne spazieren, ob an einem frischsonnigen Frühlingstag oder im goldenen, kastanien- und laubreichen Oktober. Im Park wird gespielt, gegessen und getrunken, oder man sitzt einfach nur so da. Neulich erblickten wir einen Aufkleber auf dem Müllsammelbehälter. Ein stilisierter Hundehaufen war darauf abgebildet in Form eines zweigeschossigen Baumkuchens, aus dem zwei Äugelchen den Betrachter hilfesuchend anglubschten, und darunter stand: „Ich lebe gefährlich. Schützen Sie Ihre Hundehaufen vor den Fußtritten unvorsichtiger Passanten.“
Soviel Humor hätte ich einer Stadtverwaltung gar nicht zugetraut. Doch schon übermannten mich Schuldgefühle: Wie oft habe auch ich die ästhetische Bedeutung solcher Werke ignoriert? Wieviele Objekte canidischer Kunstfertigkeit mögen Tag für Tag der humanoiden Mißachtung zum Opfer fallen, achtlos zertreten und anschließend lieblos verteilt in der Wüste bürgerlicher Auslegeware?
Und das ist ja nur ein Beispiel für die Ignoranz, mit der viele Menschen dem Hund begegnen. Wir befanden uns auf einem für Fußgänger ausgewiesenen Waldweg, als vor uns ein Mann auftauchte, umsprungen von einem mächtigen, rötlichen Köter. Da er langsamer ging als wir, holten wir auf; zugleich kam ein anderer Mann entgegen, den ein hin und her jagender Vierbeiner umkreiste wie ein Asteroid das schwarze Loch. Die beiden Viecher mochten sich nicht, wildes Gekläffe und Gebeiße war die Folge.
Die dazugehörigen Männer packten ihre leinenfreien Hunde, und während das eine Paar entschwand, kauerte das andere noch eine Weile auf dem Boden. Erst als sich der Kontrahent entfernt hatte, ließ er sein extrem schlecht gelauntes Tier los - natürlich in unsere Richtung, so daß es sich sofort laut bellend auf uns stürzte. Und da hatte ich wohl einen Aussetzer und hab gerufen: „Wären Sie bitte so freundlich und halten Ihren Hund fest?“ Worauf es zurückschrie: „Das können Sie gefälligst mir überlassen!“
Ich habe mich natürlich sofort bei dem Hund entschuldigt und Erkundigungen eingezogen, wie man sich als Hundeloser in solchen Fällen korrekt zu verhalten hat; das Wichtigste in Kürze. Keinesfalls sollte man weglaufen, das könnte das Tier falsch deuten. Und nie dem Hund in die Augen schauen, dann beißt er vielleicht nicht. Will sagen: Wenn eine freilaufende Dogge auf Sie zukommt, einfach stehenbleiben, sich wegdrehen, den nächsten Baum fixieren und ein kurzes Gebet sprechen.
Apropos Dogge. Wenige Tage später kommt uns eine riesige ebensolche entgegen, 20 Meter dahinter die dazugehörende Frau. Wir sehen sie des Öfteren, sie liebt es, ihren kalbsgroßen Köter durch die Gegend stromern zu lassen. Wir blieben stehen, eine junge Joggerin überholte uns. Sie hatte Stöpsel in den Ohren, hörte offensichtlich Musik und realisierte die Baskerville-Erscheinung erst, als sie den gesenkten Blick hob. Ein lauter Schrei, fast stürzte sie vor Schreck zu Boden. Worauf nölend, zwischen angewidert und amüsiert zurücktönte: „Was soll denn das? Der läuft doch ganz friedlich an Ihnen vorbei!“
Es ist schwer für den bildschirmfixierten und netzabhängigen User, in diesen Zeiten der digitalen Erniedrigung ein stabiles Selbstwertgefühl aufzubauen, dem werden die meisten zustimmen. Durch das Halten von Tieren bietet sich aber eine Chance, die der datenreduzierte Mensch unbedingt nutzen will. Was wir dazu brauchen, sind nicht nur einfach mehr Hunde, Katzen und Wellensittiche in unseren Städten, sondern vor allem mehr Vogelspinnen und Würgeschlangen, um die heimischen „Zwei Zimmer Diele Bad“ mit Leben zu füllen. Davon profitieren am Ende auch die Nachbarn, womöglich ganze Stadtteile und Millionen Follower. Wobei zu beobachten ist, daß sich bereits jetzt immer mehr Bürger in einer Art Wettrüsten immer größere Viecher zulegen: Dobermänner, Rottweiler, gigantische Hirtenhunde, die alle eins gemeinsam haben: Sie tun nix und haben im Zweifelsfall sowas noch nie gemacht. Und die Besitzerschar ist nicht etwa auf Hooligans und andere Zierden der Gesellschaft beschränkt, sondern besonders da zu beobachten, wo Einkommensmillionäre hausen.
Vermutlich erhoffen sich viele vom Ausführen eines Bluthundes zwischen unbewaffneten Spaziergängern einen putinartigen, gesellschaftlichen Aufstieg. Das Halten von Skorpionen und Bettwanzen, da fängt die wahre Tierliebe erst an, da liegt eine der wenigen Möglichkeiten für intellektuell untermöblierte Mitbürger, einen gesellschaftlichen Aufstieg hinzulegen, mit dem man „proud boys“ imponieren kann.
Eine gute Versicherung ist natürlich anzuraten, und das nicht nur gegen materielle Schäden, sondern auch in Punkto Verbreitung von Infektionskrankheiten. Wer dieses Risiko nicht tragen will, sollte sich lieber einen Bauernhof mit eigenen Ländereien zulegen oder auf Guppies und Schmerle umsteigen. Auch wäre die Einführung eines Gesetzes zu überlegen, das alle Bürger verpflichtet, sich von fremdem Getier aller Art behecheln, besabbern, belecken und anspringen zu lassen.
Und man muß auch das Ästhetische bedenken. Es ist einfach schön, wenn im Restaurant Gäste am Nebentisch Platz nehmen und ihren langhaarigen, regennassen Hund unter den Tisch schieben, woraufhin der sich erstmal kräftig schüttelt und Zecken, Giardien und weitere interessante Parasiten im Raum verteilt. Das ist eine impressionistische Installation besonders tierfreundlicher Güte, da kann man sich live weiterbilden. Was ich derzeit überlege, ist die Anschaffung eines Krokodils. Das geht auch gerne spazieren und liebt neugierige Hunde ohne Leinen. Frisch im Wald gefangen sind die ja auch einfach lecker.
© Wendelin Haverkamp
...aus Wendelin Haverkamps kleiner satirischen West Zipfel Postille
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