Schnitt ins eigene Fleisch

SPD droht mit Mindestlohn per Gesetz

von Lothar Leuschen​

Foto: WZ
Schnitt ins eigene Fleisch
 
SPD droht mit Mindestlohn per Gesetz
 
Von Lothar Leuschen
 
Nimmt das denn gar kein Ende? Seit Union und SPD einen Koalitionsvertrag vereinbart haben, steht das 146 Seiten starke Werk unter Beschuß – auch aus den eigenen Reihen. Und fast jeden Tag kommt ein neuer Angriff hinzu. Jetzt ist es der SPD-Generalsekretär Matthias Miersch, der Öl ins Koalitionsfeuer gießt. Er droht der Union damit, den im Vertrag möglicherweise für 2026 angepeilten Mindestlohn per Gesetz garantieren zu wollen. Das ist aus verschiedenen Gründen überraschend. Die künftigen Regierungsparteien haben schließlich vereinbart, daß der Mindestlohn in Zukunft 60 Prozent des Bruttomedianlohnes in Deutschland betragen soll. Demnach wäre ein Betrag von 15 Euro in der Stunde im nächsten Jahr erreichbar – aber nur dann, wenn die Mindestlohnkommission das auch so will. Deren Aufgabe ist es, diese Maßnahme so wirtschaftsverträglich und so sozial wie möglich zu verhandeln. Aus diesem guten Grund besteht die Kommission aus Arbeitgebervertretern und aus Gewerkschaftern. Umso unverständlicher ist, daß der SPD-Generalsekretär damit droht, das Verfahren auszuhebeln. Damit könnte er zwar die Macht der Arbeitgeberverbände einschränken, nähme gleichzeitig aber auch den Gewerkschaften eine wichtige Rolle. Gerade an deren Seite sieht die deutsche Sozialdemokratie sich jedoch schon aus Tradition. Miersch schickt sich mithin an, seiner Partei ins eigene Fleisch zu schneiden.
 
Doch das ist nicht die einzige Unwucht in der Drohung des Matthias Miersch. Wenn die SPD den Mindestlohn per Gesetz auf 15 Euro erhöhen will, braucht sie dazu eine Mehrheit im Parlament. Die Union steht dafür nicht zur Verfügung. Links davon gibt es keine Mehrheit. Nähme die SPD also Stimmen der rechtsextremen AfD in Kauf? Wohl kaum. Daß der Generalsekretär der Union dennoch mit einem Parlamentsentscheid droht, läßt nur den Rückschluß zu, daß die 15 Euro ein wichtiges Argument sind, mit dem die Partei ihre Basis zur Zustimmung zum Koalitionsvertrag bewegen will. Aber Mierschs Vorgehen birgt das Risiko, daß die SPD in die Rolle rutscht, welche die FDP in der Ampel unrühmlich gespielt hat: die der Opposition innerhalb der Regierung.
 

 
Der Kommentar erschien am 24. April in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.