Glanzbilder
Ein verstörendes Psychogramm
Laßt mich in Ruhe. Ruhe ist alles,
worum ich bitte. Und Vergötterung.
Und Podeste.
Dieser in Dänemark zu Recht mit dem renommierten „Kritikerprisen“ ausgezeichnete Roman, auch für den DR (Danmarks Radio) Romanprisen nominiert und auf der Shortlist für den Jyllands-Postens Belletristik-Preis (eine der größten Tageszeitungen Dänemarks) stehend, gehört zu den elementarsten, mitreißendsten Büchern, die ich seit Scott Bradfields „Die Leute, die sie vorübergehen sahen“ (2013) lesen durfte.
Cecilie Lind taucht ihre Leser quasi unvorbereitet und schockierend haut- und körpernah in das Wechselbad des geheimnisvollen Seelenlebens der pubertierenden Sara ein – legt die ungeheuer komplexe Gedankenwelt dieses Mädchens frei und benutzt dazu deren eigene Sprache, ungefiltert, bestürzend, hilflos, sex- und körperbesessen.
Sara ist 13 Jahre alt, hübsch und verliebt. In sich, in ihre Brüste, ihren Schoß, der Ekstasen auslöst, in den Pfarrer Dario und in Peter, den Vater ihrer Freundin Rosa – und sie spielt und lockt damit. Denn sie wird angeschaut, vom Dänischlehrer, vom Arzt, von Jungs und Mädchen. Dem allmählichen wirklichen Erwachsenwerden bleibt keine Zeit, denn die Entfernung vom Elternhaus, die zur Eile antreibende Eifersucht auf die beste Freundin, mediale Einflüsse, ein verbogener Blick auf die Sexualität und die körperliche Begehrlichkeit von Männern, des Priesters verantwortungslose Geilheit, der ihre Möse anbetet und ihr Fotos von seinem Schwanz schickt und auch die „dreckige Seele“ von Rosas Vater, der die Frische ihrer noch knisternden Jugend begehrt, haben sie zerstört. Den Rest geben ihr unreife Jungs, ihre Magersucht, ihr Hunger auf Sex und Anerkennung, das Spiel mit ihrem Körper und der Macht. Es ist viel von Nabokovs Lolita in ihr, diesem grübelnden Kind, doch mit dem markanten Unterschied, daß sie sich in rasendem Tempo selbst zerstört und nicht diesen einen Mann, wie in kühler Berechnung Lolita.
Die Lektüre dieses verstörenden Buches voller heftiger Erotik läßt den Leser mit Sara ihr tiefes Leid ebenso wie ihre heiße Lust empfinden, ohne sie wirklich verstehen zu können, zumal sie dazu selbst nicht in der Lage ist, läßt ihn zornig auffahren. Man kann nicht anders als mitleiden. Cecilie Lind hat im Stakkato von Worten und Gedanken eindrucksvoll das Psychogramm einer Kindfrau skizziert und die prägende Phase eines Mädchenlebens in einen zeitlich vorausblickenden, desillusionierenden Rahmen gestellt. Das „Mädchentier“ frißt sich selbst. Ein Roman von hohem Wert, der sicher nicht nur zum Besten der zeitgenössischen dänischen Literatur gehört. Ein Buch, das mit allem Recht unser Prädikat, den Musenkuß* (mit Sternchen) bekommt.
Cecilie Lind – „Mädchentier“
Roman - Aus dem Dänischen (Pigedyr) von Alexander Sitzmann
© MÄRZ Verlag, 208 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag - ISBN: 978-3-7550-0046-4 24,- € Weitere Informationen: www.maerzverlag.de
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