Echte Parteifreunde
Schwere Zeiten für SPD-Chefin Saskia Esken
Von Lothar Leuschen
Gäbe es für „Feind“ einen Superlativ, dann hieße er „Parteifreund“. Dieses Bonmot kursiert seit jeher in allen politischen Vereinigungen. Aber sehr wahrscheinlich trifft es auf keine so sehr zu wie auf die SPD. Je höher eine Frau oder ein Mann in der deutschen Sozialdemokratie aufsteigt, desto größer ist die Gefahr, daß sie oder er auf mehr oder weniger schnöde Art und Weise entliebt wird. Diese Erfahrung macht derzeit Saskia Esken. Die Stuttgarterin ist Co-Vorsitzende und führte die SPD im Tandem mit Lars Klingbeil in eine Bundestagswahl mit desaströsem Ergebnis. Nur noch 16,4 Prozent der Wähler machten ihr Kreuz bei der ältesten demokratischen Partei Deutschlands. Personelle Konsequenzen hat das bisher nicht gehabt. Aber wenn in Parteikreisen danach gefragt wird, fällt fast ausschließlich und allein der Name Saskia Esken. Verglichen mit ihrem eher pragmatisch orientierten Co-Vorsitzenden Klingbeil ist sie das soziale Gewissen der Partei, vertritt den linken Flügel einer SPD, die seit vielen Jahren im Sinkflug ist. Auch das Ergebnis, nach dem Olaf Scholz 2021 ins Kanzleramt einzog, war für die ehemalige Volkspartei ein Debakel. Und noch einmal zehn Prozentpunkte weniger schrecken die Basis auf. Die hat in Mehrheit anscheinend Esken als Ursache ausgemacht.
Das hat jetzt Konsequenzen. Ihr eigener Landesverband stellt Saskia Esken nicht mehr für den Bundesvorstand der Partei auf. Das ist eine schallende Ohrfeige für die Frau, die etwa beim Thema Mindestlohn, Rentengarantie und Migration unverrückbar ur-sozialdemokratische Positionen vertritt. Einer inhaltlichen Logik folgt der Liebesentzug nicht. Lars Klingbeil hat den Wahlkampf ebenso verbockt und ist für das Ergebnis nicht minder verantwortlich. Jedoch hat er anders als Esken nicht den Eindruck erweckt, um jeden Preis an seinem Posten zu kleben. Und die Genossen trauen ihm offenbar zu, den Kanzler Merz und die Union im Zaum zu halten. Deshalb erlebt Saskia Esken nun allein, was vor ihr auch schon Andrea Nahles sowie Kurt Beck erleben mußten. Wenn der Wind von vorn kommt, werden aus Genossen echte Parteifreunde.
Der Kommentar erschien am 30. April in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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