Kammermusik der Sonderklasse
Quatuor Danel und Florence Millet im Kulturzentrum Immanuel
Allegro Assai sauste zu Beginn Franz Schuberts Quartettsatz c-Moll von 1820 (D703) mit sehr geschwindem, anhaltendem Tremolo-Chaos los. Nervös, fiebrig, hastig, fast fahrig schlug das Streichquartett Danel (zu Hause in Paris und Brüssel) das Publikum mit unfaßbarer Virtuosität in seinem Bann. Die ungewöhnliche Interpretation des Stückes belebte der 1. Geiger zusätzlich durch den Einsatz bewegungsluxuriöser Körpersprache. Im Wechsel mit dem lyrischen 2. Thema mutete dieser Satz an wie die Ouvertüre zu einem Drama, welches wir leider nicht kennen. Das Quartett hat Franz Schubert nicht vollendet. Der langsame 2. Satz bricht nach 41 Takten ab und wurde nicht gespielt. Mit den elf Streichquartetten, die Franz als Schüler komponiert hatte, hatte er keinen Erfolg, nahm aber mit diesem Quartettsatz in Vorbereitung auf „Rosamunde“ und „Der Tod und das Mädchen“ die Tradition der Streichquartette in Wien knapp 20 Jahre nach op. 77 von Joseph Haydn und 10 Jahre nach op. 95 von Ludwig van Beethoven wieder auf Das Publikum war zum ersten Mal begeistert.
Das Streichquartett Nr. 14 von Dmitri Schostakowitsch entstand rund zwei Jahre vor dem Tod des Komponisten, nachdem zwei Mitglieder des Beethoven-Quartetts, welches viele seiner Streichquartette des uraufgeführt hatte, zuvor verstorben waren. Das Streichquartett ist dem Cellisten des Quartettes gewidmet. Der unglaublich beeindruckende 2. Satz (Adagio) spiegelt den Verlust und die Widmung wider, indem das Cello sonor und klagend vom Komponisten bevorzugt bedacht worden war und oft zusammen mit Bratsche oder auch der 1. Violine dann ohne Mittelstimmen die musikalische Entwicklung bestimmt. Im Zusammenspiel der vier Musiker, mit delikatester Dynamik und Agogik entstand eine musikalische Realität, in der Trauer, existentielle Skepsis und Ängste auch heutiger Zeiten erträglich sein könnten. Jedenfalls hat Schostakowitsch die Wirren seines Lebens - entweder bedroht von Stalins Terror, oder von Stalins Diktatur als „Hofkomponist“ geschätzt - hier weit hinter sich gelassen. Musikalisch war dieses ruhige, klangvolle Adagio der unbestrittene Höhepunkt des Abends. Der 3. Satz, eine Meditation im Allegretto, jedenfalls alles andere als ein glanzvolles Finale, beginnt mit kapriziösem Pizzicato und endet im Adagio. Nach großem Applaus ging das Publikum in die Pause.
Das Quatuor Danel spielt seit 1991 zusammen, und hat in dieser Besetzung (Marc Danel, Gilles Millet, Vladimir Bogdanas) mit dem Cellisten Yovan Markovitch seit 2014 zwei große Streichquartett-Zyklen des 20. Jahrhunderts eingespielt (Schostakowitsch, Mieczyslaw Weinberg), wird 2025 die Streichquartette von Prokofjew einspielen, und in Leipzig zum 50. Todestag von Schostakowitsch alle seine Streichquartette aufführen . Die Tournee 2025 führt durch Japan, die USA, Taiwan und Südkorea. Das Quatuor Danel ist aktuell „Quartet in Residence“ an der Universität Manchester. Die Pianistin Florence Millet muß in Wuppertal nicht vorgestellt werden
Nach der Pause war Schumanns Klavierquintett zu hören. Es startete mit akkordischen Sept- und Sextsprüngen des Klaviers in wahrhaft atemberaubenden Tempo, welches nach einigen Takten von Florence Miller etwas gezügelt werden konnte. Subtile Temposchwankungen und musikantisches Zusammenspiel boten in dem akustisch herrlichen, ehemaligen Kirchenschiff reinsten Musikgenuß. Das wunderbare 2. Thema, welches mit der fallenden Quinte beginnt, zuerst im Klavier vorgetragen, dann espressivo vom Cello übernommen und von der sonoren Bratsche umgedreht beantwortet wird, ließ das Publikum bald auf die vordere Stuhlkante rutschen. Clara Schumann, der Robert das Werk gewidmet hat, schätzte das Werk „voller Kraft und Frische“, nannte es „äußerst brillant und effectvoll“. Musikalisch nahezu ein großes romantisches Klavierkonzert entspricht es von der Besetzung her eher einem Taschenformat. Das Quintett entstand in Schumanns Kammermusikjahr 1842 zusammen mit Streichquartetten, einem Klaviertrio und einem Klavierquartett. Fünf Tage benötigte Robert für diese Komposition. Der stark strukturierte langsame 2. Satz „in modo d‘ und Marcia“ mit seinem punktierten „Schreitthema“ wird bald unterbrochen von einer komplexen Auseinandersetzung zwischen langausgehaltenen Noten („espressivo ma sempre piano“), Triolen und Achteln bevor sich im flinken, eingeschobenen Agitato die Stimmung wieder ändert und am Ende der Anfang wiederholt wird. Aufwärtsstürmende Triolentonleitern, molto vivace, bestimmen das schnelle Scherzo, welches durch zwei Trios unterbrochen wird. Das Motiv abwärts doppelt fallender Quinten wird für eine Anspielung auf musikalische Korrespondenz zwischen Clara und Robert aus frühen Zeiten ihrer Freundschaft gehalten. Wie denn auch sei, hier spielte Florence Millet mit ihren musikalischen Freunden brillant, differenziert und ausdrucksstark die wunderbare romantische Kammermusik so temperamentvoll, daß dem Cello bei der letzten Fuge des Schlußsatzes eine Seite riß! Unter frenetischem Applaus, Bravi gab es Blumen für Streicher und Florence Millet.
Samstag, 03.05.2025, Kulturzentrum Immanuel
Quatuor Danel, Florence Millet, Franz Schubert (1997-1828) : Quartettsatz c-Moll, Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) : Streichquartett Nr. 14 in Fis-Dur op. 142 (1972-73) : 1. Allegretto, 2. Adagio – attacca, 3. Allegretto. Robert Schumann (1810-1856) : Quintett Es-Dur für Klavier, zwei Violinen, Viola und Violoncello Op.44 (1842) : Allegro brillante, 2. In modo d‘una marcia. Un polo largamente, 3. Scherzo. Molto vivace 4. Allegro ma non troppo. Veranstalter : Peter Fülling in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Wuppertal.
|