Sterne über Heckinghausen

Verleihung des Rheinlandtalers an „Dörte aus Heckinghausen“

von Marduk Buscher

Dörte von Heckinghausen bekommt den Rheinlandtaler - Pressefoto LVR

Sterne über Heckinghausen
 
Persönliche Anmerkungen und Erinnerungen zur Verleihung 
des Rheinlandtalers an „Dörte aus Heckinghausen“
 
 
Ich kannte Wuppertaler „Platt“ nur aus dem General Anzeiger. Dort gab es in der 1970er Jahren eine Kolumne „Hi kallt Ötte“, in welcher der Autor Hans Geib städtische Geschehnisse durch das dialektale Filter drückte, um Mißstände oder Erfahrungen sozusagen sprachlich zu „kolorieren“, zu ironisieren. Mir fehlte der Sinn dafür. Zu Hause sprachen wir ausschließlich Hochdeutsch.
 
In die Unter-Tertia des Carl Duisberg Gymnasiums kam seinerzeit ein Junge, um eine „Ehrenrunde“ zu drehen. Er schien so viel reifer und „verruchter“ zu sein! Und er unterhielt die Klasse mit Ausrufen in Barmer Platt, oder was wir dafür hielten, mit breit prononcierten „Ai-“ und „Öi-“ Lauten, vokalisiertem „R“ sowie meist verschlucktem „T“, obwohl auch er sonst ausschließlich Hannoverischen Dialekt sprach. Er war eines von sechs Geschwister-Kindern aus dem Heckinghausener Musiker-Viertel, der Villen-Ansammlung oberhalb der Barmer Anlagen.
 
Dort lernte ich auch Dörte, seine jüngste Schwester kennen. Bei einer der vielen Feten, wenn die - nach dem frühen Tod des Vaters - alleinerziehende Mutter mal verreist war oder beide Augen zudrückte. Da konnte es vorkommen, daß die Kinder des Hauses bei elektrisch verstärkter Begleitung selbstverfaßte Lieder improvisierten. Zum Beispiel mit dem Dadaistisch anmutenden Refrain, „Kamel, du hast so schöne Beine – Schlangen haben keine“.
 

Der Autor und Dörte 1977 in Paris

Und die pubertierenden Gäste ergötzten sich an Zwischenrufen im Rheinischen Singsang oder mit der monotonen Intonation des Westfälischen der Unterstadt. Denn durch Wuppertal geht die Sprachgrenze zwischen den beiden prägenden Landesteilen. Dazu kamen persiflierende, völlig unmotivierte Ausrufe wie „Auuuuu – Stei!“, welche ihre Wurzeln wohl in den Sphären der Neuen Musik haben dürften.
 
Die Mutter mochte dieses ironische Spiel mit Sprache und Kultur zunächst nicht, wie mir Dörte kürzlich berichtete. Nicht nur wegen der Nacht- und Nachbarn störenden Lautstärke der meist im Garten stattfindenden Feiern, sondern eben auch wegen der vermeintlichen Verrohung der Sprache ihrer Kinder.
Im nachhinein sehe ich Zusammenhänge mit dem von Jürgen von Manger zu gleicher Zeit präsentierten „Adolf Tegtmeier“, der „Else Stratmann“ von Elke Heidenreich oder auch den späteren Persiflagen von Hape Kerkeling.
Allen gemeinsam ist die Motivation, die „einfachen Leute“ zu Wort kommen zu lassen, ihre Sorgen und Nöte im gesellschaftlichen Bewußtsein mehr zu verankern.
 
Was bei Festen und im Freundeskreis zunächst nur eine sinnfreie Verulkung darstellte, wurde bei „Dörte aus Heckinghausen“, denn als diese wurde meine Schulfreundin später bekannt, zu einem bewußt eingesetzten Mittel, um den Standesdünkel Ihres Elternhauses und der Nachbarschaft in Frage zu stellen, zu dekonstruieren, wie man so schön sagt. Als schrullige „Königin der Fröhlichkeit“, mit geblümten Frottee-Kittel, versteht sie ihre Aufgabe darin, zwischen den gesellschaftlichen Schichten zu vermitteln. Eine Kunstform, welche auch die Mutter später sehr zu schätzen wußte, wie Dörte anläßlich ihrer Ehrung mit dem „Rheinlandtaler“ für ihr soziales Engagement in die Dankesrede einflocht.
Denn die „Barmer Küchenoper“, die „Bergische Seifenoper“ oder die anderen Formate, in welchen sie auftritt, sind für Dörte nur Mittel zum Zweck: sie dienen der Integration und Inklusion benachteiligter Menschen unserer Gesellschaft, Migranten, Behinderten, Bürgergeld-Empfängern, Kindern …
 

Die mit dem Tapir rockt - Foto © Andre Scollik

Im Hauptberuf ist Dörte Dozentin an der Hochschule für Musik und Tanz Köln am Standort Wuppertal, investiert Wissen und Engagement in der kulturellen Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen zum Beispiel in der Kulturwerkstatt an der „Alten Feuerwache“, im Inklusiven Schauspielstudio am Schauspiel Wuppertal, im Organisationsteam von „Barmen Urban“ und anderswo.
Besonders freut sich Dörte Bald, wie sie mit bürgerlichem Namen nun heißt, daß sie die Auszeichnung für ihr soziales Engagement erhielt, und nicht für ihr künstlerisches Tun, das sie eher als Hilfsmittel ansieht.
 

Alte Freunde: Dörte Bald-Ollefs und Dr. Marduk Buscher

Bei der Verleihung des „Rheinlandtalers“ in der Kategorie Gesellschaft würdigten die 2. stellvertretende Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland, Karin Schmitt-Promny, und der Wuppertaler Bürgermeister, Heiner Fragemann, gleichwohl auch ihre kulturellen Leistungen, wenngleich es ihnen schwerfiel, sie phonetisch korrekt als „Döchte“ im Heckinghausener Dialekt anzusprechen.
In ihrer Dankesrede widmete die Preisträgerin die Auszeichnung all den Menschen, mit denen und für die sie in den verschiedenen Konstellationen zusammenarbeitet. Ihr sei es wichtig, daß ihr gesellschaftliches Engagement jetzt auch überregional Beachtung fände, und sie sei stolz, daß der Preis kein „Murmelbachtaler“ geblieben sei (womit sie auf einen kleinen Bach anspielte, der in Heckinghausen fließt)
 
Manchmal erkennt man eben Sterne erst, wenn Sie gebührend beleuchtet werden.

Wuppertal-Heckinghausen, 4. Juni 2025