Ein Meisterstück des Mysterium tremendum

Dorothea Renckhoff – „Das Schattenveilchen“

von Frank Becker


Morillons Hände
 
Ein Meisterstück des Mysterium tremendum
 
Es soll ja Leute geben, die von einem spannenden Roman (oder Film) erwarten, daß er mit einem gewaltigen Schrecken, einem Knalleffekt beginnt und fortan den Pegel des Horrors hoch hält. Wie viel genüßlicher ist da ein Roman wie Dorothea Renckhoffs feine Schauergeschichte „Das Schattenveilchen“ in dem das Grauen sich schleichend in bildhaften Rätseln (nehmen Sie das bitte wörtlich) nähert und den Leser von Seite zu Seite mehr packt und neugieriger macht.
 
Eine junge Frau, die Ich-Erzählerin, sucht nachdem sie mit dem Tod ihres Geliebten András alles verloren hat, eine Unterkunft, die sie überraschenderweise in dem abgelegenen Stadtviertel findet, in dem András Furlány aufgewachsen ist. Ein gewisser Herr Morillon, Nachbar der Villa Furlány, erweist sich als außerordentlich gastfrei, indem er ihr nicht nur einen großes Zimmer des Hauses mietfrei überläßt, sondern ihr auch Bettzeug, Kleidung und Verpflegung zu Verfügung stellt, auch für die Zeit, in der er oft mit ungenanntem Ziel verreist. Sie soll einzig dafür sorgen, daß die Haustüre stets verschlossen ist. Um die Besucher, die während seiner Abwesenheit noch erwartet würden, müsse sie sich nicht kümmern. Die allerdings, Felsenhayn und der kranke Anselmus, erweisen sich als zum Fürchten unheimlich und gehören offenbar einer mystischen Gruppe an, die man im Viertel insgeheim die Kinderschlepper nennt.
Von ihnen lenkt sich unsere namenlose Freundin durch die schützende Gesellschaft von Morillons großem gelbem Hund ab, sowie durch Besuche bei kuriosen Nachbarn und die Arbeit im Museumscafé, die sie durch Vermittlung bekommen und wo sie Freundinnen gefunden hat. Aber auch die Neugier auf all das Merkwürdige um sie herum, auf die Hintergründe treibt sie an.
 
Im Museum wird sie Zeugin der mysteriösen Zerstörung eine Bildes, wie sie auch anderwärts in den Galerien der Welt seit geraumer Zeit berühmten Gemälden widerfährt: Überall verschwinden aus Bildern Blumen, an deren Stelle häßliche, verwischte graue Flecken wie von einem Säureattentat auftauchen. Könnte es sein, daß Morillons ständige Reisen etwas damit zu tun haben? Bald spürt die junge Frau, daß ihr in diesem düsteren Viertel, das wie eine fremde, abgeschlossene Welt unter einer Glasglocke ist, ebenso wie Herrn Morillon große Gefahr droht. Feuer und Tod suchen die Nachbarschaft heim, die Kinderschlepper erweisen sich als zerstörerische Macht und sie kann sich nur noch durch Flucht der Verfolgung entziehen…
 
„Das Schattenveilchen“ ist in seiner wunderbaren Sprache ein Roman voller sukzessive ansteigender Spannung, subtilem Horror und packender Wendungen. Wer das Unheimliche liebt, das Mysterium tremendum et fascinosum, ist mit diesem meisterlichen Buch bestens bedient.
 
Dorothea Renckhoff – „Das Schattenveilchen“
© 2023 Kulturmaschinen Verlag, 207 Seiten, Broschur – ISBN 978-3-96763-265-1
15,- € / gebundene Ausgabe 22,- €
 
Weitere Informationen: https://kulturmaschinen.com