Dieses Buch wird diesen Krieg überdauern.

Serhij Zhadan – „Keiner wird um etwas bitten. Neue Geschichten“

von Michael Zeller


Dieses Buch wird diesen Krieg überdauern.
 
Denn Kriege sterben. Bücher leben.
 
Mehrere gewichtige, umfangreiche Romane hat er bereits geschrieben, und sehr lesbar dazu – Serhij Zhadan, aus Charkiw. Romane über das Leben, die Liebe, über die Ukraine, sein Land, das uns bis vor kurzem so fern war. Lange vor Kriegsausbruch war der ukrainische Schriftsteller bereits hier in Wuppertal, als Gast der Literaturbiennale, vielleicht erinnert sich die eine oder der andere noch an seine Auftritte. Er hatte seine Band mitgebracht, deren Frontmann und Sänger er ist, Hunde des Weltalls. Im LOCH haben sie damals eines ihrer ersten Konzerte in Deutschland gegeben.
Serhij Zhadan ist längst eine der wichtigsten literarischen Stimmen seines Landes, mit großem internationalem Echo. (So hat er zum Beispiel 2022 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche erhalten.) Vor einem Jahr hat er sich – zusammen mit allen Mitgliedern seiner Band – freiwillig zum Militär gemeldet. Bei der Armee ist er in der Abteilung für zivil-militärische Kommunikation eingesetzt und gottlob nicht direkt an der Front.
Wie wichtig der Schriftsteller Zhadan für sein Land Ukraine gerade jetzt ist, in der Epoche dieses Krieges, beweist der schmale Band Erzählungen, der in diesem Frühjahr in deutscher Übersetzung erschienen ist: „Keiner wird um etwas bitten. Neue Geschichten“. Seine zwölf Geschichten spielen in diesem Krieg, den Rußland seinem Nachbarland Ukraine vor gut drei Jahren aufgezwungen hat und der Hunderttausenden Landsleuten bisher den Tod gebracht hat, darunter allein hundert ukrainische Schriftstellern.
 
In einem aktuellen Interview spricht Zhadan darüber, wie wichtig ihm der Umgang mit Sprache ist, gerade auch in diesem Krieg, gerade auch als Soldat, damit er sein seelisches Gleichgewicht halten kann. Wie wichtig aber dieses Schreiben auch für eine Leserschaft ist, sei es in der Ukraine oder in der restlichen Welt, also auch für uns hier, zeigen diese kurzen Geschichten „Keiner wird um etwas bitten“ aus der monströsen Abnormität eines Kriegsgeschehens.
Das, was in ihnen steckt, schafft weder ein Fotoapparat noch ein anderes elektronisches Aufnahmegerät festzuhalten – das schafft allein die Literatur.
 
Als ein Beispiel die Erzählung „Nicht genug Sonne, um alles zu erleuchten”: Zwei junge Menschen treffen sich in einem Park, Mitte Zwanzig, Mann & Frau. Die Frau hat ihm einen Blumenstrauß mitgebracht, „und jetzt war es ihr peinlich, sie zu überreichen. Was soll ich mit Blumen? dachte er gekränkt.” Stockend entwickelt sich ein Gespräch über ihre gemeinsame Schulzeit, die lange hinter ihnen liegt und an die sie beide ganz offenbar völlig unterschiedliche Erinnerungen haben.
„Ich kann mich überhaupt an nichts mehr erinnern”, sagte er. „Nichts als Finsternis in meinem Gedächtnis. Und keine Ahnung, wie man es erleuchten kann. Ich versuche mich zu erinnern, wie alles war, was wir gemacht, worüber wir uns gefreut haben. Und mir fällt nichts ein. Da ist nichts. Verstehst du? „
„Nein.”
Ein Nicht-Gespräch von schleppender Peinlichkeit. Irgendetwas klemmt da zwischen den beiden, etwas ganz Entscheidendes. Endlich hat die Frau begriffen. Sie geht. „Leichtfüßig lief sie, aber etwas traurig, wie eine Frau, der wie erwartet das Herz gebrochen worden war.”
Und er? „Saß da und wartete auf die Krankenschwester, die ihn zurück ins Krankenzimmer rollen würde.”
Ende der Geschichte von knappen zehn Seiten. Da stockt einem der Atem.
Alle zwölf Geschichten Zhadans erzählen von diesem Krieg, mit dem Zhadans Land überzogen worden ist. Doch wie der versierte Schriftsteller diesen widerwärtigen authentischen Stoff behandelt, ist literarisch vom Feinsten: Als erfahrener Erzähler weiß er natürlich einen Handlungsfaden zu spannen. Und er tut dies in einer Sprache, die die Gedanken des Lesenden nicht einengt, sondern auf weite Reisen schickt. Auch daß der Autor sich mit keiner Silbe zu einem Temperamentsausbruch gegenüber den Verantwortlichen dieses Massenmordens hinreissen läßt, finde ich erwähnenswert.
 
Den Texten sind Zeichnungen des Autors von eigener Hand beigegeben, die die Zerstörungen an den Gebäuden seiner Heimatstadt Charkiw festhalten – als seien auch seine Worte gegenüber dem Grauen nicht genug. Zu einem in den mittleren Etagen aufgerissenen Hochhaus heißt die Bildlegende: „Die Russen haben unser Wohnhaus getroffen. 14.05.24”.
Und dennoch und erst recht: KEINER WIRD UM ETWAS BITTEN.
Dieses Buch wird diesen Krieg überdauern.
Denn Kriege sterben. Bücher leben.
 
Serhij Zhadan – „Keiner wird um etwas bitten. Neue Geschichten“
Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr.
© 2025 Suhrkamp Verlag Berlin, 175 Seiten, gebunden – ISBN 978-3-518-43238-9
24,- €
 
Weitere Informationen: https://www.suhrkamp.de