Beinahe konsequent
Keine Senkung der Stromsteuer für alle
Von Lothar Leuschen
Die Empörung ist ebenso groß wie erwartbar. Anders als im Koalitionsvertrag und vor wenigen Tagen zusätzlich noch auf der Tonspur angekündigt, senkt die schwarz-rote Bundesregierung die Stromsteuer nicht für alle und jeden. Das löst Proteste aus. Und die sind auf den ersten Blick nicht einmal unverständlich. Schließlich hätte das Wahlgeschenk die neue Regierung nur vergleichsweise läppische 5,4 Milliarden Euro gekostet. Daß Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) sich dennoch vehement weigerten, die Kasse für alle zu öffnen, läßt tief blicken. Es zeigt nämlich, wie ernst die Lage ist. Trotz neuer Schulden für Rüstung und Infrastruktur steht der Bundeshaushalt nach der Wahl mindestens ebenso sehr unter Druck wie vor der Wahl. Die Wirtschaftsflaute und damit verbundene Steuerausfälle sind für Union und SPD ein erhebliches Problem. Es schreit nach Haushaltsdisziplin und sparen. Dennoch mag es arrogant klingen, wenn Merz sagt, daß der Erfolg seiner Regierung in fünf, zehn Jahren nicht an der Entscheidung zur Stromsteuer gemessen wird. Aber es stimmt.
Deshalb ist es Deutschland zu wünschen, daß die unpopuläre Entscheidung von Merz und Klingbeil den Auftakt zu einer neuen Phase der politischen Ehrlichkeit markiert. So bedauerlich es ist, daß die privaten Haushalte nun nicht um 2,5 bis 7,75 Euro im Monat entlastet werden, so richtig ist das Signal. Ihm müssen weitere Wahrheiten folgen. Die zum Beispiel, daß die Rentenbezugsdauer in Deutschland dringend gesenkt, die Lebensarbeitszeit also weitgehend erhöht werden muß. Oder die Gewißheit, daß die Krankenkassenbeiträge womöglich nur dann halbwegs im Zaum gehalten werden können, wenn es ein Mehrklassensystem mit einer ausreichenden Grundversorgung, aber auch höherpreisigen Tarifen gibt.
Ein Wermutstropfen ist, daß Merz und Klingbeil ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Die von CSU-Chef Markus Söder durchgedrückte Mütterrente paßt nicht in die Zeit. Deshalb ist das Nein zur Senkung der Stromsteuer auch nur beinahe konsequente Haushaltspolitik.
Der Kommentar erschien am 4. Juli in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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