Die Schatten der Vergangenheit

Qiu Xialong - "Blut und rote Seide"

von Stefan Schmöe
Die Schatten der Vergangenheit
 
Das Krimi-Genre boomt. Dabei läßt sich der deutsche Krimi-Liebhaber offenbar gerne gedanklich in fremde Länder entführen, in denen das Verbrechen von charismatischen Kommissaren bekämpft wird – man denke nur an den Schweden Wallander oder den Venezianer Brunetti. Längst hat aber auch ein Chinese die Szene betreten, nämlich Oberinspektor Chen Cao aus Shanghai, der bereits seinen fünften Fall auf dem deutschsprachigen Büchermarkt lösen darf. Da zeigen manche anderen Kommissare bereits Abnutzungserscheinungen; „Blut und rote Seide“ aber ist ein ebenso raffinierter wie lesenswerter Fall.
 
Die Romane der Reihe um Oberinspektor Chen leben atmosphärisch vom Spannungsfeld zwischen verfallendem Maoismus, korruptem Raubtierkapitalismus und traditionellem Konfuzianismus, in dem sich das Land am Ende der 90er Jahre befand (und auch heute noch befindet). Der Inspektor ist, anders als seine westeuropäischen Kollegen, nicht Vertreter einer unabhängigen Justiz, sondern oft nur Spielball der politischen Interessen. Auch deshalb zeigt Chen oft mehr Interesse an Literatur (und an der chinesischen Kochkunst) als an seinem Polizeidienst. Da hat sein Schöpfer Qiu Xiaolong (der in Shanghai geboren wurde, aber seit 1988 in den USA lebt und arbeitet) auch autobiographische Motive einfließen lassen – wie sein Inspektor hat auch er einst mit Übersetzungen amerikanischer Kriminalromane begonnen..
 
In seinem aktuellen Fall (stimmt nicht ganz: In den USA ist bereits der sechste Band der Reihe erschienen, während hierzulande der fünfte brandneu auf dem Tisch liegt) schickt der Autor seinen Chefermittler erst einmal mit geradezu aufreizender Gelassenheit in den Bildungsurlaub, während Kollege Yu eine spektakuläre Mordserie aufzuklären hat: Mehrere Frauen werden an belebten Orten im Zentrum Shanghais tot aufgefunden, alle nur bekleidet mit einem roten qipao, dem klassisch-eleganten chinesischen Kleid. Ob Zeichen sexueller Obsession oder historisch bedeutsamer Code, das bleibt für die ermittelnden Beamten lange Zeit die Frage. Derweil wird der Leser ausführlich über Chens Studien zur klassischen chinesischen Literatur informiert, als sei die Mordserie eine lästige Nebensache. Natürlich greifen beide Ebenen irgendwann ineinander, und spätestens da gewinnt der Krimi schlagartig an Fahrt.
 
Qiu Xiaolong, der sein Handwerk versteht, legt geschickt Fährten aus, falsche wie richtige - auch literarisch. Sieht es zwischendurch nach einem actionreichen Showdown aus, so endet der Roman als verdichtetes Kammerspiel, bei dem, so viel sei immerhin verraten, besonders grausame Gerichte der Shanghaier Regionalküche aufgeboten werden, um den Bösewicht weich zu klopfen. Des Rätsels Lösung findet sich letztendlich in der chinesischen Vergangenheit, die wie ein Trauma über der Gegenwart liegt. Ein Rest an Irrationalität bleibt freilich auch, vollständig erklärbar sind die Menschen auch in China nicht. Man legt das Buch anschließend mit einem mulmigen Gefühl beiseite, weil es abschließende Gerechtigkeit in diesem Fall wohl nicht geben kann. Bleibt zu hoffen, dass Inspektor Chen doch noch eine Zeit lang seinem Polizeiberuf treu bleibt und uns weitere spannende Fälle beschert.
Beispielbild

Qiu Xialong
Blut und rote Seide

Oberinspektor Chens fünfter Fall

Aus dem Amerikanischen von Susanne Hornfeck

© 2009 Paul Zsolnay Verlag Wien

394 Seiten, kartoniert
19,90€

Originalausgabe erschienen 2007 unter dem Titel „Red Mandarin Dress“ bei St. Martin’s Press, New York

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