Großstadt-Kaleidoskop

Erik-Ernst Schwabach – „Bilderbuch einer Nacht“

von Frank Becker


Großstadt-Kaleidoskop
 
Ein nächtliches Gesellschaftsbild der 1920er Jahre
 
So wie es Erik-Ernst Schwabach in seinem Roman „Bilderbuch einer Nacht“ tut, konnten nur seine Zeitgenossinnen Lili Grün und Irmgard Keun und vielleicht noch Alfred Döblin und Hans Fallada das Großstadtleben aus allen Blickwinkeln, vor allem aber der Schicksale „kleiner Leute“ beschreiben und vermitteln.
 
Der im Nachlaß von Erik-Ernst Schwabach (1891-1938) nach Jahrzehnten entdeckte Großstadtroman aus den 1920er-Jahren ist eine präzise Milieustudie ebenso der Oberen Zehntausend in der Weimarer Republik wie der Kleinverdiener, Parvenüs, Pleitiers, Armen und Kriminellen. Wie in einem sich ständig drehenden Kaleidoskop reiht Schwabach vom frühen Abend bis zum Dämmern des Morgens Szenen aneinander, die sich wie mit einem Staffelstab ablösend durch ihre Querverbingen ein geschlossenes Bild ergeben. Schicksale, Affären, Übeltaten, Fehl- und Übertritte, ihre dramatischen, melancholischen, stummen oder liebenswerten Schlüsse sind dermaßen logisch ineinandergeschachtelt, daß man bei all den vielen dramatis personae nie den Faden, die Übersicht verliert und jeder getrennt voneinander erzählten, dennoch eng miteinander verknüpften Episoden wunderbar folgen kann.
 
Es sei der Verlagstext hier kurz zitiert: „Eine Herbstnacht in einer Großstadt - es könnte Berlin sein (Anm.: Es ist sicher Berlin) - in den 1920er-Jahren: Erik-Ernst Schwabachs Protagonisten haben eines gemeinsam. Sie alle sind in dieser Nacht auf der Suche nach Anerkennung, Liebe, Sex, gesellschaftlichem Aufstieg und natürlich Geld: der junge, frisch verheiratete Arzt, der auf einer Gesellschaft in einer Bankiersvilla beinahe zu einem Seitensprung verführt wird; der mittellose Arbeiter, der sich zur Mitwirkung an einem Einbruch überreden läßt; die Hausfrau, die ohne Wissen ihres Mannes anschaffen geht; die Barmädchen im Café Budapest oder in der Kolibri Bar; die Bordellbesitzerin, die als 'Baronin' firmiert; die Schauspielerin und der aufstrebende Dichter.“
 
Erik-Ernst Schwabach weiß detailverliebt so fesselnd, zugleich heiter aber auch spannend zu erzählen, daß man wirklich die Bilder sieht, die man liest. Man steigt dank seiner direkten, unmittelbaren Sprache und Beschreibung leicht in jede der Geschichten ein, nimmt gespannt an der Entwicklung teil, gönnt und mißgönnt und hält den Atem an, wo die Wendung Dramatik ahnen läßt. Das „Bilderbuch einer Nacht“ hat ähnliche Qualitäten wie die mitreißenden ebenfalls wiederentdeckten Romane „Mädchenhimmel“, „Alles ist Jazz“ und „Zum Theater“ von Lili Grün, die wir in den Musenblättern bereits vorstellen durften.
Das „Bilderbuch einer Nacht“ kann von Herzen empfohlen werden und ist unser Prädikat, den Musenkuß aus Überzeugung wert.
 
Erik-Ernst Schwabach – „Bilderbuch einer Nacht“
Herausgegeben und mit einer Vita Schwabachs versehen von Peter Widlok
© 2025 Wallstein Verlag, 220 Seiten, gebunden, Schutzumschlag -  ISBN: 9783835358782
24,- €
 
Weitere Informationen: www.wallstein-verlag.de