François Villon
Das Große Testament
Übertragen von Ernst Stankovski Trotz des nicht geringen Umfanges veröffentlichen wir alle 41 Strophen der Präambel in einer geschlossenen Folge. Hier gibt François Villon einen Abriß seines Lebens, zieht Bilanz, rechnet ab und erzählt, wie er zum Aufzeichnen seines literarischen Testaments kam. In der nächsten Woche, liebe Leser, präsentieren wir Ihnen hier die erste der kraftvollen Balladen François Villons.
1 Nun bin ich endlich dreißig Jahre
und kahle Stirn und graue Haare
Zwei Winter hinter Eisenstäben,
Ich wünscht' ich könnt's zurück euch geben!
2 Mein Bischof, war er doch mein Herr nicht,
mit den' er Segen spendet und Gericht spricht.
In Höllenqualen, Seelenbränden,
so soll er selbst dereinst verenden,
3 Gehetzt ward ich und angefallen,
getrieben, ohnmächtig, durch Qualen.
Gott ihm dereinst in and'ren Wehen,
mit gleicher Münze das vergelten,
4 Zwar lehrt die Kirche uns, wir sollen,
die and're Backe ohne Grollen
Nun gut, ich glaube die Geschichte
Ich streck' ihm, während ich hier dichte
5 Doch richten ziemt allein dem Himmel,
Mit Kanzel, Knute und Gebimmel
der üb'rall nur nach Fehlern spähte.
wie Jesus tat, als man ihn schmähte
6 In mein Gebet, das ich verrichte
ob ich nun hure oder dichte
Ob meine Lippe hängt am Kruge
im Fluchen noch, in Lug und Truge
7 Ich suchte DICH auf tausend Pfaden.
die auf mir brüten feist wie Maden,
Gelobt sei'st Du in Deinen Sphären
ich will DICH demütig verehren
8 Auch Frankreichs König will ich preisen,
und möge auch der Große heißen,
Gott schenk' ihm Weisheit, wunderbare
Ein Weib, an dem er froh erfahre
9 Solang er weilt in diesem Leben
bin ich in Schuld ihm treu ergeben
Daß er in königlicher Gnad'
als ich verzweifelt darum bat:
10 Als einziges, was mir geblieben
sei hier mein Testament geschrieben,
Und dies Legat möge euch künden,
als einen Buckel voller Sünden,
11 Im Jahre vierzehnhunderteinundsechzig
(da sich versagte mir das Recht sich)
da ich mich längst vergessen wähnte
erfuhr - als Ludwigs Gnad' mich krönte –
12 Denn glaubt mir: Leid ließ mich erfahren
die falschen Werte von den wahren
Wie Jesus fror in einem Stall,
Mehr Wahrheit liegt im Sündenfall
13 Und doch hat Gott mich nicht verlassen,
Ich fand am Weg, im Staub der Straßen
manch' gute Stadt und manche Schenke.
der aller Sünder Wege lenke,
14 Ein Sünder bin ich, weiß es wohl,
Daß ich zum Heile kommen soll
Daß mir erstrahlt sein Morgenrot
erlöst von meiner Sünden Not
15 Im »Rosenbuch« das viel gelesen
erfährt man vieles von gar bösen
Doch steht: Wenn Taten erst versanden,
schlag man auf immer nicht in Banden,
16 Brächte mein Tod dem Lande Segen
die Schlinge um den Hals mir legen
Doch mag ich mir das Haar auch raufen,
Wir Armen müssen Wasser saufen
17 Es war bei Alexanders Fahrten,
einst führte man einen bejahrten
Der Schrecken seiner kleinen Welt
Er raubte Mensch und Tier und Geld,
18 »Was stört, oh Herr, mein kleines Schiff dich«,
»Mein Ruf ist neben deinem nichtig,
Man würd', ständ' ich an deiner Statt -
Sondern im höchsten Ehrenrat
19 Und weiter sagte Diomedes:
mein Los zu ändern, wie du jedes
Ich trag' nicht schuld an meiner Schmach.
In Armut, Elend, Ungemach,
20 Und als der Räuber so gesprochen
den Stab nicht über ihn gebrochen.
läg's, dich zu ändern? So gib acht!
ich lenke Licht in seine Nacht.«
21 Hätt' mich gelehrt in meiner Jugend
ich wäre wohl vom Pfad der Tugend
Ich hätte nicht so herb gelitten,
Doch ich wuchs wild auf, wie inmitten
22 Es reut mich um die frühen Jahre,
Schon werden dünn und grau die Haare,
Kaum daß der Lebensweg begann
neigt sich zuende seine Bahn,
23 Die Zeit lief fort und ich blieb stehen
Hab' keine Pfründen, keine Lehen,
Mein Vetter, der mit mir verwandt,
sagt heut, er hab' mich nie gekannt
24 Doch hat man euch wohl weisgemacht,
mit frechen Weibern durchgebracht,
Der Gosse war ich anvermählt,
so ist' s nun mal auf dieser Welt:
25 Ich liebe eine pralle Brust
doch zur Vergeudung meiner Lust
Ein angefress'ner Bauch nur hat
Weshalb nur Domherrn – in der Tat
26 Doch wäre ich als Knabe schon
bestimmt hätt ich heut mehr davon.
Statt dessen hab' mit Tagedieben
und üble Scherze nur getrieben,
27 Ich hab dem schönen Spruch geglaubt:
die Zukunft so auf Sand gebaut
den Leichtsinn nicht in mir besiegt,
mit dem die Weisheit Jugend rügt:
28 So ist der Tag dahingerannt
wie Fäden in der flinken Hand
So, wie der Blitzschlag fällt die Bäume
vergeh' auch ich bald in die Räume
29 Wo sind die munt'ren Spielgefährten,
Wo sind die losen, unbeschwerten
Die Lebenslust kehrt sich in Leid
und liegt schon lang im letzten Kleid
30 So manche wurden reich und fett,
wie ich schleppt mancher sein Skelett
So mancher wurde fromm Philister
und Suppe, Bier und Meßwein pißt er
31 Den reichen Herrn mit ihren Pfründen
wohl noch Vergebung ihrer Sünden
Aber den Armen schenke Du
Du hast sie ja verdammt dazu
32 Viel Fleisch und Fisch gabst Du den Reichen,
Auch Soßen, Suppen und dergleichen,
Sie müssen keine Lasten heben,
Mehr brauchst Du ihnen, HERR nicht geben -
33 Ich hab' zu richten nicht das Recht,
Bin selber sündig nur und schlecht
Bin nicht der andern Polizist
Ich schreibe nur das auf, was ist.
34 Doch laßt das Kloster ruhig steh'n
weil manche es nicht gerne seh'n,
So wißt: Das Elend schlägt um sich
Und die nicht schimpfen laut wie ich,
35 Ich wuchs in diesem Elend auf,
Mein Vater starb schon bald darauf
Zu dritt schlief man in einem Bette
Aus solchem Schmutz und Stallgeräte
36 Doch wollt ich gar so hoch nicht streben,
Nicht jeder kann im Glücke leben
Und wenn ich über'n Kirchhof geh'
dann bin ich lieber arm und weh',
37 »Hier ruht in Frieden... der und der...
Im Leben war er irgendwer,
Ob Himmel oder Höll' ihm droht,
Gibt er doch damit Lohn und Brot
38 Ich bin kein Engel, werd's nie werden,
Ich werd' im Himmel wie auf Erden
Werd' wie mein Vater arm krepieren
Die bang sich fragt, ob sie mit ihrem
39 Ich weiß, der Tod holt letztlich alle,
Den Pfarrer und die feile Schnalle,
Ob stolz, ob demütig ihr Sinn,
und gierig geilen nach Gewinn,
40 Nicht nur die Armen faßt er an,
die nur der Schönheit zugetan:
Sie spucken Blut, sie kotzen Galle,
Und Bruder, Frau und Kind und alle
41 Am End des Weges steht der Tod
Du spürst erbleichend sein Gebot,
Selbst Frauenschönheit, die in hellen
beginnt dann stinkend aufzuquellen.
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Wer den Original-Ton hören möchte kann das mit der CD zum Programm: www.kip-media.de
Informationen über Werk und Wirken Ernst Stankovskis unter:
Lesen Sie am kommenden Mittwoch die erste Ballade aus "Das Große Testament" des François Villon. Redaktion: Frank Becker |