Der Karnevalsumzug in Paderborn

Eine kritische Nachlese

von Erwin Grosche

Foto © Jeanne / Pixelio
Der Karnevalsumzug in Paderborn
 

Man sagt, Paderborner gehen zum Lachen in den Keller. Warum nicht, wenn dort der  Karnevalsumzug vorbeizieht? Paderborn leistet sich seit sechs Jahren einen eigenen Karnevalsumzug. Paderborn und Karneval ist das nicht ein Widerspruch? Erwartet man nicht eher hier die internationalen Pantomimentage, eine Sexmesse oder einen Papstbesuch? Angelehnt an die rheinischen Dauerbrenner schieben sich karg geschmückte Trecker mit schüchtern dekorierten Anhängern durch die kleine Bischofsstadt. Betrunkene, Bier schwenkende Menschen winken und werfen alles ab, was sich lustig bewegt. Da haben sie es in Paderborn nicht leicht. Der überspringende Funke, die unbändige Freude, das ausgelassene Feiern, welches tags darauf in unseren beiden Zeitungen beschrieben wird, habe ich noch nie erlebt. Also, dort wo ich stand, war immer tote Hose. Flohen früher viele Karnevalshasser in die Ostwestfalenmetropole und fanden in Paderborn Asyl, so staunen sie heute über die rührenden Versuche der Einheimischen, sich durch das Anmalen einer Augenklappe als Pirat zu outen.
 
Ich fror einmal zwei Stunden neben einem Mann, der als Rentner verkleidet war. Auch die überlaute Musik konnte ihm weder den traditionellen Paderborner Aufschrei „Hasi Palau“ noch ein Mitklatschen entlocken. So kenne ich meine Heimatstadt. Nur nicht vor Glück die Nerven verlieren. Meinen Nachbarn traf ich, der ging als mein Nachbar. Später sah ich eine Frau in einem Politessenkostüm. Der habe ich gesagt, daß ich ihren Mut bewundern würde, dieser unsympathischen Berufsgruppe ihr schönes Gesicht zu leihen, und dann war sie echt. Da haben wir doch beide sehr lachen müssen aber auf die Paderborner Narren ist Verlaß. Man kann sich auch nach innen freuen. Der Paderborner Karnevalist schunkelt nicht, er schminkt sich nicht übertrieben und das Schönste ist, er singt nicht. Hasi Palau! Es ist nur schade, daß wir unbelastet wie wir waren, uns für die Riten des rheinischen Karnevals entschieden haben. Rein theoretisch gesehen hätten wir auch das Temperament und die Verkleidungsvielfalt des brasilianischen Karnevals kopieren können. Samba tanzen, warum nicht. Der Paderborner kann auch das. Wir hätten hier den Venezianischen Karneval einführen sollen mit Goldmasken und phantastischen Kostümen. Für mich ist Karneval immer noch die Bäckereifachfrau mit Pipi Langstrumpfperücke und den fünf Berlinern, die es dann für den Preis von vieren gibt. Das hat doch was.
 
Es muß nicht immer und überall was los sein. Gibt es denn etwas Schöneres, als daß mal irgendwo nichts los ist? Ich gehe manchmal durch den Haxtergrund, Paderborns grüne Lunge und denke, wie schön, daß hier kein Karnevalszug vorbeikommt. Manchmal sitze ich in meinem Badezimmer in der Badewanne und freue mich darüber, daß dort kein Karnevalsumzug am Singen ist. Abends, wenn ich schlafen gehe, liege ich in meinem Bett und freue mich, daß auch hier kein Karnevalsumzug vorüberzieht und mich mit Bonbons bewirft. Wir haben in Paderborn unser wunderschönes Liborifest, das uns jedes Jahr eine Woche lang an Kirche und Kirmes erinnert. Das freut mich. Das rührt auch. Das reicht. Hasi Palau!
 
 
© Erwin Grosche, Paderborn 2009 – Erstveröffentlichung in den Musenblättern