Wie Bücher geschrieben werden

von Eugen Egner

Eugen Egner - Foto © Frank Becker
Wie Bücher geschrieben werden
 

A
ls Buchautor werde ich manchmal gefragt, woher ich denn vorher wissen könne, was später in einem Buch, das ich noch gar nicht geschrieben habe, drinstehen soll. Ob meine Mutter mir das vielleicht sage. Die meisten Men­­­­­­­­­­­­schen stellen sich nämlich vor, daß ich immer mit meinem Schreibzeug unter dem Tisch sitze, an dem meine Mutter die Wäsche bügelt, und sie völlig ahnungslos frage: »Was soll ich denn mal schreiben?«  Nein, pflege ich zu antworten, so verhält es sich absolut nicht. Wie es sich denn dann verhalte, will man wissen. Und ich erwidere: Das jeweilige Thema wird mir vom Verlag mitgeteilt. Aber damit gibt man sich ja nicht zufrieden, sondern verlangt zu erfahren, wer sich das Thema wohl ausdenke. Der Verleger? Oder doch meine Mutter? Um es ein für allemal klarzustellen: Das Thema eines Buches denkt sich der Aufsichtsrat der Druckerei aus, nicht meine Mutter und auch nicht der Nachrichtendienst. Und es sind immer andere Themen, oft jedenfalls. Das ist natürlich schlimm, denn man weiß nie, was kommt. Als Beispiel werde ich Ihnen nun einmal zeigen, welche Aufgabe der Aufsichtsrat der Druckerei mir für das nächste Buch gestellt hat. Aus folgender Personalliste soll ich innerhalb eines Jahres einen Roman machen:
2 Pferde mit halbem Reiter, unvollständig; Verletzter, extrem gutmütig;
Matrose, Gewehr präsentierend (Gewehr fehlt); Soldat, beim Biwak sitzend (Biwak fehlt); Krankenschwester, bespielt; 9 Albino-Blitzmädel, im Hemd;
SA-Arbeitsmann, eklig; Kofferträger, brünftig aber gerecht (Koffer fehlt);
Idiot, ganztägig; Schwein, wahnsinnig.
Das sind jedoch nicht alle, die Hauptfigur fehlt noch: ein Arzt, der aus Stuhl­proben die Zukunft liest. Der hat irgendwie Probleme und schreit immer, der Nachrichtendienst wolle seine Unterhosen filmen. Wie Sie höchstwahrscheinlich längst vermuten, wird es ein Kriegsroman für Leute unter einssechzig. Auch den ersten Satz des Romans hat mir die Druckerei vorgegeben. Er lautet: »Winter 1843. Die Töchter von Pastor Göbel hatten soeben die Raum­fahrt überwunden.«

Sie werden mich fragen, wie es dann weitergeht? Nun, als nächstes wird dafür gesorgt, daß ich auf keinen Fall zum Schreiben komme. Das ist das Wichtigste überhaupt. Keine Niedertracht ist dem Universum zu abwegig, um den Arbeits­tag des Autors mit Störungen und Ablenkungen zu durchsetzen. Bei Thomas Mann war es ja auch so, und bei Picasso. Die sind praktisch nie zum Schreiben gekommen, weil immer irgendwas war. Meist mußten sie einkaufen gehen oder Staubsaugen oder ab­waschen. Picassos Frau konnte es überhaupt nicht leiden, wenn er schrieb. Sie konnte es auch nicht leiden, wenn Thomas Mann schrieb. Von Thomas Mann weiß man ja, daß er jedesmal, wenn er Picassos Frau nahen hörte, schnell das Schreibzeug versteckte und sich hinstellte, als ob nichts wäre. Ich persönlich halte es für undurchführbar, ein Buch zu schreiben.


© Eugen Egner