Liebe Ex-Geliebte

Ein Abschieds-Schreiben

von Eugen Egner

Foto © Frank Becker

Liebe Ex-Geliebte,


letzte Nacht war ich damit beschäftigt, mich auf einer rosa Wolljacke zusammenzuringeln, als ich das unwiderstehliche Verlangen verspürte, Deine alte Wohnung in der Nachtkastenstraße  wiederzusehen, wo wir vor Jahren all diese schmerzlichen Auftritte hatten. Ich zog mich also hastig an und lief kopflos in die Nacht hinaus.
Mich trieb es zum Bahnhof, wie in Realschulzeiten rannte ich, den Hut fest auf den Kopf drückend, zum einzigen Bahnsteig. Bald darauf stand ich keuchend im Gang des Zuges, der mich in drei Minuten von "Kleinbahnhof" nach "Webers Bahnhof" brachte. Ich überquerte den Bahnhofsvorplatz und schritt durch einen zwölf Quadratmeter großen Park, in dem man ein Püppchen aufgestellt hatte. Hatte ich derartiges an anderer Stelle so oder so ähnlich bereits erlebt? Mit den Armen um mich schlagend rannte ich, immer mit den ganzen Flächen der Schuhsohlen auftretend, zu Deinem ehemaligen Haus. Der Klingelknopf war noch derselbe, aber mit öffnete eine wildfremde Person, die mich feindselig ansah. Nur widerwillig ließ sie mich ein, nachdem ich ihr vorgelogen hatte, ich sei Vertreter für Hänsel- Begretungsbecher. Ach! Was war aus Deinem alten Heim geworden! Weinend ließ ich mir alle Zimmer zeigen, von denen ich keines wiedererkannte. Warum war ich nicht daheim auf meiner Wolljacke geblieben? Die wildfremde Person hatte allgemach Vertrauen zu mir gefaßt. Wenig später saß ich in Deinem vormaligen Wohnzimmer (es hatte jetzt schräge Wände). Die Person tanzte zu meinem Sitzen, daß die Sammeltassen im Büfett klirrten. Sie wollte gar die Dachpfannen hereinholen und vergolden. Vor Verlegenheit reparierte ich schnell sämtlich Elektrogeräte, was sonst gar nicht meine Art ist. Wir entwickelten dann noch ein völlig neuartiges, zukunftsweisendes Weltkonzept, das wir leider nach der dritten Flasche Psycho-Sirup wieder vergaßen. Seither verspüre ich kein Verlangen mehr nach Deiner alten Wohnung. Und nach Dir auch nicht.
                                                      
                                                                                                                                       Dein Ex-Geliebter

© Eugen Egner