Martin Beyers beeindruckendes Debüt

Ein Trakl-Roman - "Alle Wasser laufen ins Meer"

von Jürgen Kasten
Alle Wasser laufen ins Meer
 
„Alle Wasser laufen ins Meer, doch wird das Meer nicht voller; an den Ort, da sie herfließen, fließen sie wieder hin…“
 
Die Geschwister Grete und Georg Trakl fühlen sich zum Wasser hingezogen. Das immerwährende Fließen fasziniert sie. Von Grete und Georg, sowie einigen Freunden und Weggefährten aus dem literarischen Umfeld Georgs handelt dieser Roman.
Die Familie Trakl lebte mit fünf Kindern in Salzburg. Der Vater betrieb dort einen gut gehenden Eisenhandel, mit dem es nach seinem Tod 1910 bergab ging. Dort, vor dem ersten Weltkrieg, verbrachte Georg Trakl seine Kinder- und Jugendjahre. Später wechselte er nach Wien, Innsbruck und kurz nach Berlin, wo seine fünf Jahre jüngere Schwester Grete verheiratet wurde, damit ihr, der talentierten Musikerin, jemand das Klavierstudium bezahlte. Zu seiner Schwester verband Georg eine besondere Beziehung, sie waren seelenverwandt und nicht wenige vermuteten ein inzestuöses Verhältnis.
 
Martin Beyer verknüpft Biographisches und Fiktion, um uns den expressionistischen Dichter der Avantgarde näher zu bringen. Der war verschlossen bis depressiv. So richtig nahe war ihm daher niemand, mit Ausnahme „seiner Grete“ und vielleicht seines Freundes Erhard Buschbeck. Der war es auch, der Georg mit seinem späteren Förder Ludwig von Fickerer zusammenbrachte. Fickerer war einer der ersten, der Trakls Gedichte regelmäßig in seiner Literaturzeitschrift „Der Brenner“ veröffentlichte. Zuvor waren zwei Einakter Trakls im Salzburger Schauspielhaus aufgeführt worden, allerdings mit mäßigem Erfolg.
Martin Beyer gelingen ein klarer Stil, authentische Dialoge, kurze Sätze, die den zweifelnden, suchenden Georg Trakl in seiner Zeit aufleben lassen. Georg ist rastlos, menschenscheu, introvertiert und doch auf der Suche nach Nähe, nach Gleichgesinnten, mit denen er nächtelang über Literatur diskutieren kann. Er trank, nahm Drogen und schrieb ohne Unterlaß. In seiner Außenwirkung erschien er wie ein großer spöttischer Bube, doch Grete wußte es besser: „Er wirkte, als könne er nie ernst sein. Dabei war er es immerzu.“
Grete war sein Halt, wie er der ihre. Auch sie auf der Suche – nach dem Leben. Vielen Männern gab sie sich hin, doch ihre Liebe offenbarte sie Erhard, der sie nicht erwiderte. Er hatte Angst, mit ihr unterzugehen.
So blieb ihr nur Georg. Zwischen ihnen gab es keine Geheimnisse, nichts Unausgesprochenes, sie waren Eins.
 
Martin Beyer unterteilt seinen Roman in drei Abschnitte: Sommer 1906, Frühjahr 1910 bis Sommer 1912 und Winter 1913 bis Winter 1914. Diese Zeitabschnitte beginnen oder enden jeweils mit einem Brief Gretes an ihren Bruder Georg, den sie ihm im September 1917 schreibt. Sie reflektiert noch einmal ihr gemeinsames Leben, ihren gemeinsamen Untergang, bevor sie sich erschießt.
Georg war da bereits tot. Freiwillig hatte er sich während des Ersten Weltkrieges zum Militär gemeldet, sich im Osten ob der gesehenen und erlebten Greueltaten vollends in seinen Depressionen verloren. Ein Selbstmordversuch wurde vereitelt. Trakl endete 27-jährig in der Psychiatrie. Dort, in Krakau, starb er 1914 an einer Überdosis Kokain. Ob dies selbst gewollt oder ein Unfall war, klärte sich nie.

„… und es geschieht nichts Neues unter der Sonne.“, so endet das eingangs begonnene Zitat aus dem „Prediger Salomon“, dessen Titelzeile dem Roman den Namen gab.
Ein beeindruckender Debütroman des 35-jährigen Martin Beyer, der in Germanistik promovierte und nun als freier Schriftsteller, Redakteur und Dozent arbeitet. Seit einigen Jahren leitet er „Silben-Musik“, ein Musik-Literatur-Projekt. Zum Thema Trakl gibt es einige interessante Projekte, die Beyer in Verbindung mit Lesungen auch aufführt. Nachzulesen auf seiner informativen Internetseite www.hinter-den-tueren.de
Beispielbild


Martin Beyer
Alle Wasser laufen ins Meer
 
© 2009 Klett-Cotta
ISBN: 978-3-608-93609-4
 
Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag, 240 Seiten
€ 18,90 (D), SFr. 36,60 (CH)
 
Weitere Informationen: www.klett-cotta.de